Transhumanismus

Bericht vom 71. „Forum integrierte Gesellschaft“ am 22.09.2019

Bericht vom 71. „Forum integrierte Gesellschaft“ am 22.09.2019

Das Thema des zurückliegenden Treffens lautete „Was ist Transhumanismus?“. Die Themenstellung war hervorgegangen aus dem Gespräch des vorhergehenden Treffens, das unter der Frage stand, ob Bildung durch Digitalisierung gebremst oder gefördert werde. Hinter der Frage nach der Digitalisierung war das Gespenst des Transhumanismus als weiterführende Frage aufgetaucht, mit der man sich auseinandersetzen muss.

Zur Einstimmung der aktuellen Runde lag uns der Text von Kai Ehlers unter der Überschrift „Transhumanismus – Provokation Wahnsinn oder Verbrechen vor“. Der Text war aus einem Vortrag im Rudolf-Steiner-Haus Hamburg hervorgegangen und wenige Tage vor dem Treffen im Forums-Verteiler herumgeschickt worden.

Zur Erinnerung: der Text skizziert die Entstehung der transhumanistischen Weltsicht am Beispiel seiner bekanntesten Vertreter Ray Kurzweil, Chef der technischen Entwicklungsabteilung bei Google und Nick Boströms, Spezialist für ethische Technikfolgeabschätzung, sowie der doppeldeutigen Warnungen vor einer transhumanistischen Zukunft durch den israelischen Historiker Yuval Noa Harari. Doppeldeutig sind seine Warnungen, weil er einerseits vor transhumanistischen Perspektiven warnt, deren Kernstücke, wie z.B. die Leugnung des ICH, jedoch selber verbreitet.

Der Text von Kai Ehlers formuliert drei Grundthesen, wie mit der Entwicklung ‚intelligenter‘  Maschinen jetzt und mit Blick auf die Zukunft umgegangen werden könnte, genauer, wie die Beziehung zwischen Menschen und ‚intelligenter‘ Maschine zu gestalten sein könnte, sollte, müsste. Die Thesen lauten: ‚intelligente‘ Maschinen müssen ‚sterben‘ können; sie müssen zweckgebunden bleiben; und sie brauchen moralische Kontrolle. Diese Thesen sind als Anstöße zur weiteren Befassung mit dem Thema gedacht.

Das Gespräch entwickelte sich in drei klar voneinander abgesetzten Phasen:

Erstens Klärung sachlicher Fragen zur Entstehung des Transhumanismus, zweitens Erörterung der Frage, wieso die Geistesforschung Rudolf Steiners in der Debatte um den Transhumanismus und darüber hinaus in der gegenwärtigen Wissenschaftsphilosophie nicht präsent ist und drittens wie die drei Thesen in dem herumgeschickten Text zu verstehen seien und wie sie zu konkretisieren sein könnten.

Die Klärung der sachlichen Fragen, die die Entstehung des Transhumanismus betrafen, muss hier im Bericht nicht noch einmal nachgezeichnet werden. Dafür sei auf den herumgeschickten Text von Kai Ehlers verwiesen, in dem die Ziele des Transhumanismus skizziert werden: Schaffung einer  Zukunft, in welcher der Mensch durch ‚intelligente‘ Maschinen zum technisch gestützten Übermenschen transformiert wird, der von seinen natürlichen Unvollkommenheiten befreit keine Vergänglichkeit, kein Unglück, kein Leiden  mehr kennt, tendenziell als Maschinenintelligenz nicht nur Wohlstand und dauerndes Glück, sondern sogar Untersblichkeit erreichen könne. Verweise, über die man sich sachlich weiter informieren kann, lassen sich dem Text entnehmen. (Der Text ist noch einmal beigefügt und auch auf www.kai-ehlers.de nachzulesen).

Zentral in die Diskussion führte dann schon die Frage eines Teilnehmers der Runde, wieso Rudolf Steiner in der Diskussion um Transhumanismus nicht vorkomme, wenn es dort doch letztlich um die Frage gehe, was Geist sei, ja, Harari z.B. sogar behauptet „wir“ wüssten heute noch nicht, was Geist sei und müssten ihn durch Meditation erst erforschen. Gerade zu diesen Fragen des Geisteslebens, so der Teilnehmer, habe Rudolf Steiner mit der von ihm entwickelten Geisteswissenschaft aber doch entscheidende Anstöße gegeben.

Auf diese Frage, wie auch auf die weiter führende, warum die von Steiner entwickelte Geisteswissenschaft bis heute nicht in der herrschenden Wissenschaft und Philosophie angekommen sei, wussten wir in der Runde letztlich keine andere Antwort zu geben, als die – dass die Zeit für eine breite Akzeptanz einer Geisteswissenschaft, die wissenschaftliches Herangehen von der Naturwissenschaft auf den geistigen Raum auszudehnen vorschlägt, statt dem Materialismus der Naturwissenschaften einfach nur eine jenseitige Esoterik entgegenzusetzen, einfach noch nicht gekommen ist.

Bisher ist es so, dass die von Steiner angeregte Geisteswissenschaft nicht über die Philosophie, auch nicht über die Religion, interessanterweise aber über ihre konkreten, praktischen Ausdrücke ihren Weg in die Gesellschaft gefunden hat und zunehmend findet – Waldorfschulen, biologisch-dynamische Landwirtschaft, Heilpädagogik, Gemeinschaftsbildungen, sogar Ansätze zu einer Dreigliederung des sozialen Organismus, allerdings zunächst noch in Forderungen nach mehr oder direkter Demokratie und Selbstbestimmung. Erkenntniswege, welche die Menschen zur Anthroposophie führen,  nehmen in der Regel in persönlichen Vertrauens- und Arbeitsverhältnissen und in konkreten Projekten ihren Anfang. Da sind die hilfreichen, die wohltuenden, die für die Gesundheit des Einzelnen und der Gesellschaft förderlichen Effekte geisteswissenschaftlicher Weltsichten anthroposophischer Färbung offenbar so unübersehbar, dass sie nicht mit undifferenzierten Kritiken eines angeblichen Rassismus bei Steiner und allgemeinen Vorurteilen gegenüber der Anthroposophie als Sekte uä. weggewischt werden können.

Ein interessantes Licht brachte hier die Frage mit sich, wieso kaum jemand Anstoß nimmt an Hararis Aufforderung, dem transhumanistischen Gespenst mit Vipassana Meditation, einem speziellen Weg des Buddhismus zu begegnen , für den er Millionen Leser und Leserinnen zur Innenschau auffordert, um dort den Geist zu suchen, den „wir“ angeblich bisher nicht gefunden haben und dazu mit seinen „21 Regeln für das 21. Jahrhundert“ detaillierte Anleitung gibt  – während gleichlautende Aufforderungen Steiners, sich durch Meditation zu stärken, belächelt, als Sektenwesen oder Ewig Gestriges beiseitegeschoben werden.

Die Antwort hierauf ist eindeutiger als die, warum Steiner von der Philosophie und Wissenschaft nicht akzeptiert wird: Weil der Weg der Meditation, den Steiner vorschlägt, nicht auf den Wohlfühlpfad führt, auf dem es heißt, ‚ich fühle mich gut, weil ich in mir den Geist finde, der mich von den Anfechtungen der Welt befreit‘, sondern weil er über die Selbsterkenntnis hinaus, die ja zweifellos wichtig ist, auf den Weg der aktiven Hinwendung an die geistige und soziale und künstlerische Gestaltung der Welt führt.

Mit solchen Überlegungen ging das Gespräch in der dritten Phase dazu über, die drei Thesen – ‚Sterben‘, Zweckbindung, moralische Kontrolle der Maschinen – auf ihre praktische Konsequenz hin anzuschauen. Das kann hier kurz vom Ergebnis her angegeben werden:

 

Zur These:

‚Intelligente‘ Maschinen müssen ‚sterben‘:

Das Sterben ist selbstverständlich nicht wörtlich zunehmen. Das Erste, was in der Runde dazu spontan vorgeschlagen wurde: Abschalten. Dem wurde sofort die Tatsache entgegengehalten, dass wir heute schon gar nicht mehr in der Lage sind, die Apparate, die unsere Zivilisation in Gang halten, einfach abzuschalten und dass zudem unklar ist, an wen sich die Aufforderung richten könnte und in wessen Interesse ein Abschalten stünde.

So entstand unmittelbar der nächste Gedanke, der als genereller Auftrag für die Wartung der schon vorhandenen, wie auch die Herstellung weiterer ‚intelligenter Maschinen‘ durchaus praktikabel sein könnte: jeder ‚intelligenten‘ Maschine, konkret ihrem Softwareprogramm, eine begrenzte Verlaufszeit, ein Ablaufdatum mitzugeben – ähnlich wie es im Geldwesen mit dem ‚sterbenden‘ Geld bereits begonnen wurde, dort, um der Spekulation entgegenzuwirken. Im Falle der Maschinen geht darum, ihrer Allmächtigkeit entgegen zu wirken, die aus der ungebrochenen Dauer von Softwareprogrammen resultiert, die von einem Datenträger auf den nächsten ohne Verlust überspielbar sind.

Also: Die ‚intelligente‘ Maschine ‚sterben‘ lassen, heißt, ihre Verlaufszeit durch Programmvorgabe zu begrenzen – um ihr Programm immer wieder neu einstellen zu können.

 

Zur These:

Intelligente Maschinen müssen zweckgebunden sein.

Dafür ist zunächst an die zweite Hälfte des Gedankens zu erinnern: dass es der Mensch ist, der dem Zweck der Maschine seinen Sinn gibt. Diese grundsätzliche Notwendigkeit der Bindung einer ‚intelligenten‘ Maschine an ihren Zweck ändert sich auch dadurch nicht, dass es verschiedene Zwecke gibt, gute, schlechte, nützliche, unnütze usw. Entscheidend ist, dass die Maschine an den Zweck, für den sie geschaffen wurde gebunden bleiben muss – und sich nicht selbständig machen darf, sich nicht von ihrer grundsätzlichen Zweckbindung durch Selbstkorrektur lösen darf. Diese Zweckbindung muss als Grundmuster in das Betriebsprogramm eingegeben werden. Welcher Zweck einem Programm mitgegeben wird, muss allein in der Verantwortung des menschlichen Programmierers oder der Programmiererin liegen – was wiederum in untrennbarer Verbindung mit der schon genannten Bedingung steht, dass vorgegebene Programme eine Ablaufzeit mitbekommen müssen, so dass ihre einmal eingegebenen Zwecke auch, sollten sie Schaden anrichten, korrigiert werden können.

Hier schloss sich eine längere, von starken Gefühlen begleitete Runde des Gespräches an, in der mehrere Teilnehmer/innen deutlich machten, dass für sie die Ausbildung des freien Ich in sozialer und schöpferischer Gemeinschaft, insbesondere auch im künstlerischen Schaffen, das Wesentliche sei, das sie sich von keiner Maschinenkultur n nehmen zu lassen bereit seien. Die Befreiung der sozialen Fantasie sei nicht nur die unverzichtbare Basis jeglicher Beziehung von Mensch zu Mensch sein, sondern gehöre angesichts transhumanistischer Visionen von der Ersetzung menschlicher Kreativität durch das Maschinenwesen umso mehr in den Vordergrund gerückt . Dem widersprach selbstverständlich niemand – es blieb vielmehr als Aufforderung stehen, für die es Aufmerksamkeit und Ermutigung brauche.

Also: Die Programme ‚intelligenter‘ Maschinen müssen nicht nur durch vorgegebene Ablaufdaten ‚sterben‘ können, sie dürfen auch nur durch Menschen verändert werden.

 

Zur These:

‚Intelligente‘ Maschinen brauchen moralische Kontrolle:

These eins und zwei führen konsequent zur dritten, dass die Programme nicht nur zeit- und nicht nur zweckgebunden sein müssen, sondern dass ihr Betrieb auch moralisch kontrolliert werden muss. Diese Notwendigkeit betrifft zwei unterschiedliche Bereiche:

Zum ersten den, der bereits in Betrieb befindlichen ‚intelligenten‘ Maschinerie, die einer konsequenten Differenzierung, Dezentralisierung, Bindung an begrenzte Zwecke unterzogen werden muss, soweit und so intensiv und so schnell das im Nachhinein durch Nachprogrammierungen von Ablaufdaten und Zweckbestimmungen noch möglich ist. Dazu ist ganz sicher auch die Möglichkeit von Abschottungsprogrammen ins Auge zu fassen, die verhindern, dass die Maschinen über die selbsttätige Herstellung eines Netzes mit anderen Maschinen ihre Zeit- und Zweckgebundenheit überwinden können – horizontal wie vertikal. Das alles gilt selbstverständlich auch für Maschinen, die erst neu installiert werden. Die Dezentralisierung muss an unmittelbare persönliche, örtliche, regionale, auch überregionale, auf jeden Fall aber benennbare verantwortliche Personen oder Personengruppen gebunden werden – die ihrerseits in sozial benennbaren Verantwortungsfeldern stehen.

Das heißt, in diesem Bereich geht es um die Anbindung der ‚intelligenten‘ Maschine und der Gesamtheit dieser Maschinen, das Internet an entmonopolisierte, demokratisch gegliederte wirtschaftliche, soziale und kulturelle Strukturen, die der gegenwärtigen Monopolisierung des gesellschaftlichen Lebens unter zentralistischen Kapitalinteressen entgegenwirken. Damit sind wir auch auf diesem Gebiet wieder bei einer Grundstruktur des sozialen Körpers, wie er sich in der Dreigliederung andeutet. Ohne eine Pluralisierung, die solchen Vorstellungen wie denen der Dreigliederung des sozialen Organismus folgt, wird die ‚intelligente‘ Maschine zur Maschinendiktatur.

Der zweite Bereich betrifft die Frage, welcher Weg für die Entwicklung ‚intelligenter‘ Maschinen mit Blick auf die Zukunft eingeschlagen werden sollte. Da gibt der fast vergessene Keely-Motor, der Ende des 19. Jahrhunderts allein durch personeneigene Energie seines Erbauers betrieben wurde, selbstverständlich das Forschungsziel vor. Keely wusste das Phänomen, das er verursachte, selbst nicht zu erklären. Wir sind heute durch die KI-Forschung, einschließlich der wachsenden Einsichten der Biologie, insonderheit der Neurologie bereits in der Situation, dass Gehirnströme ohne Kabelverbindung Prothesen und Apparate aller Art in Bewegung setzen. Der Tag, an dem menschliche Energie im weitesten Sinne von Sensoren ‚intelligenter‘ Maschinen empfangen werden kann, dürfte nicht mehr weit entfernt sein. Von da ist es dann nur noch ein Gedankenschritt, zu unterscheiden zwischen fördernder und hemmender Energie, die von Menschen auf die Maschine ausgeht. Dies zu erkunden, um auf diese Weise eine unmittelbare Kontrolle ‚intelligenter‘ Maschinen herzustellen, darf heute gut und gern als Forschungsaufgabe formuliert werden. Das wäre jedenfalls die positive Variante unserer Verbindung mit der Maschine.

Also: Die Herstellung einer moralischen Kontrolle der Maschine durch ihre unmittelbare Bindung an die vom Menschen ausgehenden Impulse ist Gebot der Stunde, um eine Unterwerfung des Menschen unter die Maschine zu verhindern, und zugleich Gebot der Zukunft, um neue, kreative Kräfte in der Kombination von Mensch und Maschine frei zu setzen.

Das bedeutet für uns Menschen natürlich zunächst einmal, unsere eigenen Kräfte zu entwickeln ganz unabhängig von Maschinen und gerade weil es darum geht, uns ihnen gegenüber als geist- und fantasiebegabte lebendige Wesen zu behaupten. Nur auf dieser Basis werden wir in der Lage sein, die förderlichen Tendenzen in der Beziehung von Mensch und Maschine zu stärken, Tendenzen des Missbrauchs dagegen zurückzudrängen.

In diesem Sinne soll das kommende Treffen sich unter der Erkenntnis, dass es nicht darum gehen kann, OB die Menschheit mit der Maschine zusammenwächst, sondern WIE und unter welchen INTERESSEN, sich mit der Frage befassen:

Wer bestimmt heute, wie, wann und ob Maschinen ‚sterben‘, welchen Zwecken sie dienen und von wem sie kontrolliert werden? Welche Alternativen sind denkbar, welche sind möglich und wie?

Das Treffen ist für den 27.11.2019 um 15.00 angesetzt, am gleichen Ort wie üblich.

Bitte bringt eine Kleinigkeit zum Knabbern mit und meldet Euch an, wenn möglich. Freunde und Freundinnen, interessierte Gäste, streitbare Geister sind willkommen.

Anmeldungen ggfls. über die Adresse www.kai-ehlers.de

 

Seid herzlich gegrüßt,

Kai Ehlers, Christoph Sträßner

 

P.S.

Es gilt, was immer gilt: Wer keine Berichte vom „Forum integrierte Gesellschaft“ mehr bekommen möchte – kurze Rückmeldung genügt.