Noch einmal Rojawa – demokratischer Konföderalismus

Bericht vom 73. „Forum integrierte Gesellschaft“ am 19.01.2020

Das zurückliegende Treffen des Forums hatte noch einmal „Rojawa“ zum Inhalt. Im ersten Treffen hatten wir die Frage gestellt, wie weit Leitideen von „Rojawa“ mit den von R. Steiner vor hundert Jahren vorgebrachten Ideen zur „Dreigliederung des sozialen Organismus“ vergleichbar sind und ob es da Anknüpfungspunkte gibt. Das Wichtigste fanden wir, ist die Tatsache, dass beide Ansätze aus einer grundsätzlichen Kritik des einheitlichen Nationalstaates hervorgehen, der eine aus dem Chaos des ersten Weltkrieges, der andere aus dem Scheitern des Versuches, einen kurdischen Nationalstaat militärisch erzwingen zu wollen, des Weiteren, dass im Denken beider der freie Mensch im Mittelpunkt steht. (Schaut dazu auch bitte noch einmal in das Kurzprotokoll vom letzten Treffen, wo weitere Vergleichspunkte skizziert sind.)

Vom vorangegangenen Treffen blieb die Aufgabe, noch einmal genauer hinzuschauen, und uns der Frage zu nähern, welche Chancen dieser Ansatz und ähnliche Ansätze einer grundsätzlichen Alternative zur heute herrschenden monopolistischen Weltordnung haben.

Es sei gleich vorausgeschickt: Das ganze Gespräch lief auf ein „Trotzdem“, genauer, auf ein „Gerade deswegen“ hinaus: Für die, welche die herrschenden Verhältnisse der globalen Stagnation nicht mehr ertragen, sei es physisch oder psychisch, gibt es keine Alternative – bestenfalls Kompromisse, schlimmstenfalls Unterordnung unter die blanke Gewalt der herrschenden Mächte, die die Entwicklungen selbstbestimmter Lebensformen aus der Mitte der Bevölkerung nicht zulassen wollen.

Die Phalanx derer, von denen gesagt werden muss, dass  sie Ideen wie die in „Rojawa“ gelebten, nicht hinnehmen wollen, schließt im Mesopotamischen Raum heute alle Mächte ein, die sich dort gegenwärtig einen Stellvertreterkrieg um lokalen und weltweiten Einfluss liefern – von der Türkei über Syrien, Russland, die USA bis zu den indirekter involvierten Mächten. Der Ansatz der autonomen Region „Rojawa“ wird von allen Seiten bedrängt, bekämpft, tendenziell unterdrückt.

Es ist klar: die Entwicklung einer die Grenzen des einheitlichen Nationalstaats in Frage stellenden sozialen und politischen Alternative gegenüber einem vom ungebremsten Egoismus getriebenen Wachstumswahn liegt heute nicht im Interesse der herrschenden Mächte. Sie ist unter den heutigen Bedingungen nur aus der Enklave, nur in Nischen möglich, kleinen oder größeren, in denen sich konkurrierende Mächte gegenseitig neutralisieren.

Umso klarer ist natürlich die Botschaft, dass es gilt, gerade solche Nischen, solche Enklaven zu suchen, zu fördern und ihre Möglichkeiten zu nutzen, wo immer es möglich ist, um dort Keine eines neuen Bewusstseins zu setzen, Ansätze selbstverwalteter lokaler und regionaler Wirtschaft und Orte der Selbstverwaltung zu schaffen, in denen die Entwicklung der Würde jedes einzelnen Menschen und darüber hinaus noch der uns umgebenden lebendigen Natur Ziel des Zusammenlebens ist.

Und umso wichtiger ist zu verstehen, ja, nicht nur  zu bewundern, sondern zu studieren, wie aus dem Hexenkessel der mesopotamischen Kriegssituation heraus der Impuls von „Rojawa“ entstehen konnte:

– wie der PKK-Chef Öcalan sich vom Stalinisten zum Protagonisten einer egalitären und kommunitären Bewegung durchrang,

 – wie aus dem militanten Nationalismus der Kurden die grundsätzliche Kritik der herrschenden Nationalstaatsordnung,

– wie aus der Mischung von Stalinismus und orientalischer Tradition die Würdigung der Freiheit des Einzelnen,

– wie aus der extrem patriarchalen Umgebung der Anstoß zur Befreiung der Frauen,

– wie aus dem nachholenden Modernismus der Region ein ganz eigener Ansatz der Kulturkritik,

– wie im Zentrum  des heutigen fundamentalistischen Extremismus, des sog. „Islamischen Staates“ die Freiheit des Denkens und Glaubens als zentrale Botschaft sich entwickeln konnte,

– und wie sich schließlich die Menschen unter dem Druck ihrer chaotischen, durch Terror und Krieg verrohten Umgebung als Menschen behaupten können.

Und wichtig ist schließlich zu verstehen, welchen Stellenwert die Botschaft Abdulla Öcalans, der für diese Ideen sein Leben in Einzelhaft verbringt, heute in einer Welt hat, in der Millionen Menschen Ermutigung für eigene Wege suchen, die in eine friedliche Zukunft führen könnten.

Statt hier nun zu einem Referat über die von Öcalan vertretenen Ideen und seine eigenen Erklärungen darüber, wie sie entstanden sind, anzusetzen, kann dieser Bericht sinnvoller Weise nur mit der Bitte, Empfehlung, Aufforderung enden, bei Öcalan selbst in seinen kürzeren oder auch in einer seiner längeren Schriften nachzulesen – und darüber hinaus praktisch in den Medien zu verfolgen, was weiter jetzt mit der unter türkisch-russisch-syrischem ‚Schutz‘ stehenden Region „Rojawa“ geschieht, wenn man nicht sogar Möglichkeiten sucht und findet, praktische Unterstützung zu leisten.

Knapp gehaltene Bücher von Öcalan sind:

  • Demokratischer Konföderalismus

Im Internet:  http://ocalan-books.com/#/book/demokratischer-konfoederalismus (zum Herunterladen) Buchhandel: International Initiative Edition in Mesopotamien-Verlag, Neuss

  • Pädoyer für den freien Menschen, Mesopotamien Verlag.

Im Internet: https://ypginternational.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/243/2016/07/Pladoyer-fur-den-freien-Menschen-Abdullah-Ocalan.pdf

Ein umfangreicheres Buch ist:

  • Jenseits von Staat, Macht und Gewalt, 2019; Edition Mezopotamya

Verwiesen werden soll selbstverständlich auch noch einmal auf die “Kernpunkte der sozialen Frage“, (zu beziehen im Buchhandel), in denen Rudolf Steiner vor hundert Jahren die Konsequenzen aus der großen Katastrophe des ersten Weltkrieges zog. Beides, Öcalans brandaktuelle Impulse eines demokratischen Konföderalismus zusammengespannt mit denen der „Dreigliederung des sozialen Organismus“ von vor hundert Jahren ergeben einen großen Bogen, von dem aus neue Kräfte ihren Weg in die Zukunft finden können. So sei es!

Weil Russlands neue Rolle in der Welt in den Konflikten um „Rojawa“ immer deutlicher hervortritt, haben wir beschlossen, uns beim nächsten Treffen wieder einmal näher mit Russland zu beschäftigen. Als Thema haben wir uns gestellt:

 Russland zwischen USA und China

 Das Treffen ist für den 23.02.2020 um 15.00 Uhr angesetzt, am gleichen Ort wie üblich.

 Bitte bereitet Euch ein bisschen durch Beobachtung der Medien vor,

insbesondere auch auf der Seite von www.russland.news und www.kai-ehlers.de

 Und bitte bringt, wie immer, eine Kleinigkeit zum Knabbern mit und meldet Euch an, wenn möglich. Freunde und Freundinnen, interessierte Gäste, streitbare Geister sind willkommen.

Anmeldungen ggfls. über die Adresse www.kai-ehlers.de

Seid herzlich gegrüßt,

Kai Ehlers, Christoph Sträßner

 

P.S.

Es gilt, was immer gilt: Wer keine Berichte vom „Forum integrierte Gesellschaft“ mehr bekommen möchte – kurze Rückmeldung genügt.