Die Bevölkerung der Krim hat sich entschieden. Sie will mehrheitlich zu Russland gehören. Der russische Präsident Putin hat das Ergebnis angenommen. Der „Westen“, allen voran die USA und die EU und mit ihnen die Übergangsregierung der Ukraine wollen das Ergebnis nicht akzeptieren – „nie“, wie es aus den USA verlautet. Was nun?
Bis zum 21. März soll, so die Ukrainische Übergangsregierung, ein „Waffenstillstand“ eingehalten werden. Dazu stellen sich gleich mehrere Fragen. Was ist das für ein „Waffenstillstand“, wer hat ihn ausgerufen? Was soll während des „Waffenstillstands“ geschehen? Und was danach? Wird er als Chance zur Deeskalation begriffen oder zur Aufrüstung?
Die Fakten, die die Öffentlichkeit zu dieser Frage erreichen sind spärlich und widersprüchlich. Die Ukrainische Übergangsregierung betont, sie werde das Ergebnis des Referendums unter keinen Umständen akzeptieren. Die pro-russischen Demonstrationen im Osten des Landes, die ein Referendum nach dem Vorbild der Krim für ihre Regionen fordern, werden von ihr für das Werk von Agenten erklärt. Die (selbst in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ so genannten) „Rechtsextremisten und ukrainischen Nationalisten“ des „Rechten Sektors“ unter ihrem Führer Dmitri Jarosch, der auch als Präsidentschaftskandidat für die geplante Wahl antritt, rufen zum Kampf gegen die nach ihrer Darstellung bevorstehende russische Invasion auf. Agitatoren des „rechten Sektors“ ziehen durchs Land, um für den Kampf zu mobilisieren. Für den Fall des Konfliktes mit Russland hat Jarosch (laut der ukrainischen Nachrichtenagentur UNN) mit einer Sprengung der über die Ukraine laufenden Pipelines gedroht. An der Grenze zwischen Russland und der Krim ist es bereits zu Scharmützeln um eine Gas-Verteilerstation zwischen irregulären Mannschaften der Ukraine und der Krim gekommen. Der provisorische Innenminister der Ukraine Arsen Awakow hat per Twitter dazu aufgefordert, „illegale Waffen“ abzuliefern, in demselben Atemzug aber die „aktiven“ und „kampflustigen“ Bewohner des Landes dazu aufgerufen, der Nationalgarde beizutreten. An den Grenzen, heißt es, würden ukrainische Truppen zusammengezogen.
Angesichts dieser inneren Aufrüstung, insbesondere der Mobilisierung der irregulären Kräfte für die Fortsetzung der „nationalen Revolution“ steigt die Beunruhigung im Osten des Landes. Das ist Anlass für russische Nationalisten in den östlichen Regionen ihrerseits zu mobilisieren, für einen Anschluss ihrer Region nach dem Muster der Krim zu agitieren und die russische Regierung um Schutz und militärisches Eingreifen anzurufen. In Russland gibt es erste Stimmen von Freiwilligen, die Ihre „Schwestern und Brüder“ verteidigen wollen. Eine besinnungslose Eskalation nationalistischer Hysterie mit den Folgen eines lange währenden Bürgerkrieges zeichnet sich ab; es gibt nur eine Option diesen Krieg zu verhindern – wenn Russland, EU und USA und gegebenenfalls weitere UN-Mitglieder gemeinsam mit der Übergangsregierung der Ukraine die innere Abrüstung durchsetzen, die in dem Kompromiss vom 21. Februar 2014 zwischen Vertretern der EU, Russlands und Mitgliedern der jetzigen Übergangsregierung ausgehandelt worden war.
So wie es zurzeit aussieht, wäre Russland zu einem solchen Schritt bereit, wenn die großen westlichen „player“ mitzögen. Telefonische Querverhandlungen zwischen Putin, Merkel und Obama, die sich auf Entsendung von OSZE-Beobachtern verständigen konnten, lassen eine gewisse Hoffnung darauf zu. China hat sich, das sei hier gesondert angemerkt, bei der Abstimmung eines Antrages zur Verurteilung des Krimreferendums im UNO-Sicherheitsrat der Stimme enthalten.
Allerdings würde die Entsendung von OSZE-Beobachtern für einen effektiven Stopp der sich andeutenden Gewaltspirale selbstverständlich nicht reichen. Nationalistische Extremisten und insbesondere erklärte Faschisten wie die „Kämpfer“ des „Rechten Sektors“ geben ihre Waffen erfahrungsgemäß nicht freiwillig ab; sie müssen durch eine konzertierte Präsenz westlicher und russischer Truppen, die im Einvernehmen mit der Ukrainischen Übergangsregierung ohne weitere Verzögerung einzurichten wäre, gezwungen werden.
Sollte dies nicht geschehen, sondern von westlicher Seite weiter mit „Sanktionen“; „Verschärfungen“, NATO-Gerassel usw. gedroht werden, drängt sich der Verdacht auf, dass hier ein historisches Rezept wiederholt werden soll, das man schon gegen die Sowjetunion einsetzte. Man erinnere sich, in welcher Weise Sbigniew Brzezinski, heute immer noch aktiver Ideengeber der US-Politik, sich für die Rolle rühmte, die er seinerzeit als Sicherheitsberater US-Präsident Carters dabei spielte, die Sowjets in Afghanistan in die Falle des Djihads zu locken: (Le Nouvel Observateur, Paris, Januar 1998)
Gefragt, ob die US-Hilfe für die Mujaheddin-Opposition 1979 auf eine bewusste Provokation eines sowjetischen Einmarsches nach Afghanistan gezielt habe, antwortete Brzezinski: „Nicht ganz. Wir haben sie nicht dazu getrieben zu intervenieren, aber wir haben wissentlich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie es tun würden.“
Auf die Frage, ob er das heute bedauere, antwortete er: „Bedauern? Was? Diese geheime Operation war eine ausgezeichnete Idee. Sie hatte den Effekt, die Sowjets in die afghanische Falle zu ziehen und Sie schlagen vor, das zu bedauern? An dem Tag, an dem die Sowjets offiziell die Grenze überquerten, schrieb ich an Präsident Carter: Wir haben jetzt die Möglichkeit, der UdSSR ihren Vietnamkrieg zu geben. In der Tat, für fast zehn Jahre, musste Moskau einen von der Regierung nicht tragbaren Krieg führen, einen Konflikt, der die Demoralisierung und den endgültigen Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums mit sich brachte.“
Es ist wahr – die Ukraine ist nicht Afghanistan und das heutige Russland ist nicht die Sowjetunion. Die USA sind keine heraufkommende Weltmacht mehr, sondern eine absteigende, die Rücksicht nehmen muss auf die übrigen „player“ im „Spiel“ der globalen Neuverteilung, so auf die EU, so auch auf China und andere Newcomer. Dies schließt den Versuch einer Wiederholung des erfolgreich erprobten strategischen Rezeptes durch die USA aber leider nicht aus, zumal es seitdem in kleineren Konfliktlagen in anderen Teilen der Welt immer wieder aktualisiert wurde, macht das Ergebnis nur unkalkulierbarer. In so einem Fall wäre Russland wahrscheinlich gezwungen, seinerseits einzugreifen. Dass dies einem geo-politischen GAU gleichkäme, muss nicht besonders erklärt werden.
Kai Ehlers