Attila, Tschingis Chan und globale Perestroika heute – „Projekt 13“

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Rede beim Kongress in Ulaanbaatar
Vortrag beim Kongress in Ulaanbaatar, August 2011

Wie die Kinder Tschingis Chans mit den Kindern Attils zusammenstießen – Wandlungen der globalen Beziehungen im 13. Jahrhundert und heute. Auf der Suche nach einem neuen Verständnis davon, was die „Mitte der Welt“ sein könnte. Kurz: Vorstellung und Erklärung des „Projekt 13“.Ulaanbaatar 09.08.2011

(überarbeitete Fassung eines Vortrags auf dem 10. Kongreß der Mongolisten vom 9.- 13. 08. 2011 in Ulaanbaatar  Der Kongreß wurde von der „Internatioalen Assoziation der Mongolisten“ (IAMS) in Ulanbaatar organisiert)

Liebe Freunde, willkommen zu diesem Vortrag! Da ich kein professioneller Mongolist  bin, sondern eigenständiger Forscher, der die Russische Perestroika und deren Konsequenzen für Russland selbst und darüber hinaus für die Welt untersucht, bin ich sehr froh, die Gelegenheit zu haben, zu Ihnen über eine Frage zu sprechen, die sich im Zuge meines 25jährigem Forschen zu Fragen der Perestroika hinter den bloßen politischen Fragen auftut. Es ist die Frage nach einem gemeinsamen Eurasischen kulturellen und mythologischen Raum, der sich heute öffnen könnte, in welche ich mich selbst zusammen mit Freunden in Deutschland und in Rußland in den letzten Jahren mehr und mehr involviert sehe. Je länger ich an dieser Frage arbeitete desto mehr entwickelte sie sich von einer einfachen Frage in ein handfestes Projekt, das mir nicht nur unter historischen Gesichtspunkten interessant zu sein scheint, sondern das auch zur Entwicklung neuer Vorstellungen über den heutigen Wandlungen inspiriert.
Die Frage lautet: Welche Rolle hat die Mongolische Expansion am Anfang des 13. Jahrhunderts für den Niedergang der mittelalterlichen Islamischen Kultur, für den Aufstieg der westlichen Zivilisation und für die Entstehung von Rußland gespielt? In anderen Worten: Was war der Grund für die Teilung des Eurasischen Kontinentes in Europa als „Westen“ und als „Mitte der Welt“ und den verbleibenden Teil Eurasiens als „Osten“, gerade gut dafür kolonisiert zu werden? Wie ging das vor sich – und schließlich, aber nicht zuletzt: wie können wir diese Teilung heute überwinden?

Zum besseren Verständnis:
Die Rolle der Mongolei heute – wie sie gesehen werden kann.

Obwohl die Mongolei heute ein kleines Land mit gerade drei Millionen Einwohnern ist, ist es doch dazu bestimmt, eine entscheidende Rolle in der globalen Perestroika zu spielen, denke ich. Es kann den Platz eines neutralisierenden, den Platz eines beruhigenden Faktors zwischen Weltmächten einnehmen, Weltmächten, die miteinander um Einfluß auf den Eurasischen Kontinent konkurrieren und auf diesem Wege um Kontrolle über die Welt.
Ich muß nur an das bekannte Buch „Die einzige Weltmacht“ des US-Strategen  Sbigniew Brzezinski erinnern, der sich bemüht zu zeigen, daß Amerika den Eurasischen Kontinent als Haupthebel nutzen müsse, um seine Weltherrschaft zu sichern.
Ich möchte sogar sagen: Gerade in ihrer heutigen Schwäche, gerade in ihrer kulturellen und  ökologischen Verletzbarkeit liegt der Grund dafür, daß die Mongolei heute den Platz der Neutralität im Geflecht der Eurasischen Beziehungen einnehmen und dadurch, versteht sich, die globalen Prozesse der heutigen Veränderung beeinflussen kann. Ich sehe in der heutigen Situation der Mongolei eine historische Lehre: Einfluß nicht durch Größe, sondern dadurch klein zu sein, zivile, statt militärische Macht! Das ist etwas, wozu gearbeitet und diskutiert werden kann, unbedingt. In der Verwandlung der Mongolei vom globalen Goliath im 13. und 14. Jahrhundert zu dem David von heute können wir ein neues Verständnis für den kulturellen Dialog im inneren Asien, im ganzen Eurasien und sogar im globalen Maßstab finden.

Das Epos „Attil und Krimkilte“ taucht aus dem Untergrund auf.

Dies alles vor Augen, habe ich das alte, nahezu vergessene Tschuwaschische Epos „Attil und Krimkilte“ ins Deutsche übersetzt – zusammen mit einigen Kollegen – und im Frühjahr 2011 in Deutschland veröffentlicht. Das Epos erzählt die Geschichte des Hunnenkönigs Attila, der an seiner unglücklichen Liebe zu der westlichen Schönheit Krimkilte zu Tode kam. Attil und Kriemklte, an der Attila und Kriemhilde sind natürlich bekannt aus dem deutschen, bzw. westlichen Epos der Nibelungen – und tatsächlich geht es um den selben Stoff: um den Konflikt von Ost und West nämlich, um die Wanderungsbewegungen der Völker etc. – aber die Gesichte des Tschuwaschischen Epos wird aus hunnischer Sicht erzählt. Die Tschuwaschen verstehen sich als Kinder der Hunnen, später Bolgaren genannt, die sich nach dem Tod Attilas im heutigen Zentralrußland ansiedelten. Das Epos wurde seit dem 6. Jahrhundert mündlich überliefert, bis es im 19. Jahrhundert schließlich erstmals fixiert wurde. In der Zeit des Stalinismus war es lebensgefährlich sich mit dem Epos zu befassen – wegen des Beschuldigung des Nationalismus. Erst nach Perestroika war es möglich, sich öffentlich zu dem Epos zu stellen, und so tauchte es erst 1992 aus dem Untergrund auf.
Ich wurde mit dem Epos erstmals bekannt, als ich den Tschuwaschischen „Nationalschriftsteller“ und Historiker Michail (Mischi) Juchma 1992 in Tscheboksary an der Wolga traf. Wir sprachen über Perestroika und die Wiedergeburt der tschuwaschischen Kultur, als er auf einmal ein Manuskript aus der
Tiefe einer seiner Truhen hervorzog – handgeschrieben – und mir zeigte.
Attil und Krimkilte – unser vergessenes Epos, erklärte er. Oh ja, ich weiß, das ist sicher ein Teil des Nibelungenliedes – ‚unser’ epos, vermutete ich.  Und so saßen wir da und schauten einander an: ein Sohn der ‚alten Hunnen’ (wie er selbst erklärte) und ein Sohn der ‚alten Germanen’ und wir verstanden, das dies ein Ost-West-Treffen der ganz besonderen Art war. Wir fühlten, daß die Geschichte, daß die unterschiedlichen Epen über Attila nicht Eigentum des Ostens oder des Westens sind, sondern gemeinsames Eurasisches Kulturgut, nur von unterschiedlichen Seiten her berichtet – aus der Sicht der Hunnen beziehungsweise aus der des Westens.
Damals entschied ich mich, das Tschuwaschische Epos ins Deutsche zu übertragen – aber das dauerte doch noch eine lange Zeit. 2001 gelang es uns gemeinsam, das Epos in Tschuwaschischer Sprache  in Tschuwaschien zu veröffentlichen, nicht ohne meine Beteiligung, muß ich dazu sagen, 2006 folgte es in russischer Sprache, 2007 in armensicher. Er danach, im Frühjahr 2011, schafften wir die Übersetzung ins Deutsche und die Veröffentlichung in Deutschland. Dafür sind aber auch alle, die in das Projekt einbezogen waren, – also Tschuwaschen ebenso wie deutsche Teilnehmer, jetzt mehr als glücklich, daß wir es endlich geschafft haben, denn die Übersetzung dieses Epos ins Deutsche erweist sich als großer Schritt zu einer Vertiefung des Dialoges zwischen Ost und West. Mit diesem Epos kann gezeigt werden, kann praktisch und öffentlich erfahren werden, das Eurasische historische Überlieferungen nicht in nationale oder ideologische Stücke geteilt und vereinnahmt werden können, wie es zum Beispiel die NAZIS mit dem Epos der Nibelungen machten. Es ist nur allzu offensichtlich, das das Tschuwaschische Epos zu „Attil und Krimkilte“ und das der Nibelungen nur unterschiedliche epische Varianten einer gemeinsamen Geschichte sind.
Es war sehr interessant die Unterschiede – und auf der anderen Seite die Übereinstimmungen herauszufinden, die zwischen den verschiednen Arten bestehen, wie der Stoff erzählt wird: als eine Geschichte der Rache im Epos der Nibelungen, als Geschichte der unglücklichen Liebe einer großen historischen Figur, die an dieser Liebe zugrunde ging, in der tschuwaschischen Version.
Ich kann hier natürlich nicht in weitere Details gehen. In den wissenschaftlichen Kommentaren unseres Buches können sie mehr über diese Vergleiche lesen. Sie erklären, was für Verhältnisse zur Zeit Attilas bestanden, in welcher Hinsicht westliche und östliche Erzählung sich voneinander unterscheiden, in welcher sie übereinstimmen. Indem wir die Wanderungsbewegungen der Völker im 4. und 5. Jahrhundert untersuchten, die mit dem Namen Attila verbunden sind, wurde uns vollkommen klar, daß die Entwicklung des heutigen Europa, wie darüber hinaus die des Westens nicht erklärt werden kann, ohne das Phänomen Attila und seine Umgebung einzubeziehen – denn es sie waren es, die das römische Imperium ins Wanken brachten; sie brachten den Feudalismus zu den westlichen Völkern und – indem den Nutzen von Pferden durch Attila und seine Hunnen kennengelernt hatten – entwickelten die frühern Europäischen Völker ihre Kultur der Ritter.
All dies ist äußerst interessant und wert weiter im Einzelnen untersucht zu werden. Und selbstverständlich würde ich hier auch gern berichten, wie wir mit dem Buch selbst und mit der Idee, weiter in den gemeinsamen Eurasischen Raum vorzudringen, nach der Veröffentlichung des Buches willkommen geheißen wurden und was sich an Anregungen bereits entwickelt – in Tschuwaschien, in Kasan, in Nowosibirsk und zu Hause. Wahrhaftig – es ist, als ob eine Schatztruhe geöffnet  würde, die über hunderte von Jahren versteckt war.

Was wir durch die Untersuchung von „Attil und Kriemkilte“ lernten

Im Interesse der Kürze dieses Textes muss ich aber doch jetzt fortfahren zu beschreiben, wie das „Projekt 13“ weiter entstand: Durch die Untersuchung des Epos „Attil und Krimkilte“, besonders der Zeit nach dem Tode Attils und dem Rückzug der Hunnen, die auch im Epos beschrieben ist, stießen wir auf  den Aufstieg und den Fall Bolgarstans – dieses Imperiums, das von den Nachkommen Attilas im Zentrum des heutigen Rußland gegründet wurde.
Bolgarstan, so wie das Epos selbst, ist heute nahezu vergessen, wenn man von Spezialisten absieht. Aber es war Bolgarstan, das nach dem Tod Attils und dem Rückzug der hunnischen Völker zum stärksten Reich im Gebiet zwischen Wolga, Ural und kaspischem Meer anwuchs. Bolgarstan war stark verbunden mit dem Kalifat von Bagdad, der Hauptstadt des islamischen Imperiums, das – nach Mohammed – sich zur führenden Kultur  in der westlichen Hemisphäre jener Zeit entwickelt hatte. Und als wir begannen Bolgarstan zu untersuchen, fanden wir, dass nicht die Russen die erste Welle der Mongolischen Eroberer stoppten, sondern das Bolgarische Reich, nachdem die Russen an der Kalka geschlagen worden waren.
Am interessantesten wurde für uns die Tatsache, daß es nur einen sehr kurzen Zeitabschnitt gibt, eine Art Korridor am Eingang zum 13. Jahrhundert, in dem sich nicht nur die zukünftige Entwicklung Eurasiens, sondern die unserer Welt als Ganzes entschied: Er beginnt mit der Niederlage der Russen an der Kalka 1223, setzt sich fort in dem zwölfjährigen blutigen Krieg zwischen Mongolen und Bolgaren von 1224 bis zur völligen Zerstörung des Bolgarischen Reiches 1236. Erst nach der Zerstörung des Bolgarischen Reiches, das eine Art Pfropfen im Flaschenhals auf dem Weg in den Westen war, konnten die Mongolischen Truppen  weiter nach Westen ziehen.  1241 schlugen sie bei Liegnitz die westlichen Heere, 1258 zerstörten sie Bagdad.
Als wir in die Details der Geschichte vor Ort gingen, stießen wir auf eine weitere Überraschung: Wir sahen, das es möglicherweise noch neue Antworten auf die Frage gibt, warum die Mongolischen Truppen den Westen Europas nicht besetzten, obwohl nach der Schlacht bei Liegnitz das europäische Gebiet vollkommen schutzlos vor ihnen lag. Warum dies? Die Mehrheit der westlichen Historiker spricht von einem Rätsel, das nicht erklärt werden könne. Die herrschende Meinung ist bis heute, daß die Mongolischen Heerführer wegen des Todes ihres höchsten Chans nach Karakorum hätten zurück kehren müssen. – Untersuchungen der Geschichte Bolgarstans lassen jedoch einen anderen möglichen Grund erkennen: Genau 1241 ging die Bevölkerung Bolgarstans noch einmal in einen Aufstand gegen die mongolische Fremdherrschaft, was bedeutete, das die mongolischen Truppen, wenn sie über Liegnitz hinaus vorgerückt wären, von ihrem Hinterland hätten abgeschnitten werden können. So mögen denn die mongolischen Führer sich zum Rückzug entschieden und im nächsten Schritt vorgezogen haben, Bagdad zu erobern und niederzubrennen, das ein „engerer“ Feind für sie war als die Gebiete des heutigen Europa.
Es gibt zu diesen Vorgängen einige neuere archäologische Zeugnisse in der Nähe Pensas im Jahr 1241 über blutige Schlachten zwischen Mongolen und dem bolgarischen Widerstand, die zu berücksichtigen sind. Zu berücksichtigen ist auch die Tatsache, daß es den Mongolen offenbar wichtiger schien, die hochentwickelten islamischen Länder als das gering entwickelte Europa zu unterwerfen.
Zusammengefaßt: Die Ereignisse rund um die beiden Daten – 1241 Liegnitz und 1258 Bagdad – veränderten die Beziehungen zwischen Ost und West fundamental: Niedergang des islamischen Kulturraums, Aufstieg Europas; Eurapa übernahm den Platz des Kalifates als neuer globaler Hegemon, Rußland wurde zur Grenze zwischen Osten und Westen.  Die Mitte der Welt wanderte vom Zentrum Eurasiens an seinen äußersten westlichen Rand, von wo aus die gesamte Welt kolonisiert wurde. – Und heute? Es scheinen lange Wellen der Geschichte zu wirken, was besser zu verstehen sein kann, wenn wir untersuchen, wenn wir begreifen, was der Ursprung der früheren Wellen war, wie sie aufeinander folgten und – nicht zuletzt – in welcher Weise sie in der Erinnerung der Völker gegenwärtig sind.
Notwendig zu ergänzen ist selbstverständlich, daß die Wandlungen im 13. Jahrhundert nicht nur als Ergebnis der mongolischen Invasion zu verstehen sind! Es gab auch innere Gründe, Entwicklungen innerhalb innerhalb der muslimischen Welt, innerhalb der westlichen und innerhalb des Zustandes der späten „Kiewsker Rus“. Diese Prozesse hatten sich bereits aufgebaut, als die Mongolen Bolgarstan zerstörten, als sie Europa aussparten und als sie nach der Zerstörung Bolgarstans mit Rußland in einer Art Junior-Partnerschaft kooperierten. Kurz benannt: Es gab eine Art Kollektivismus in der islamischen „Umma“, die deren innere Entwicklung im Widerspruch zu der extrem ausladenden Expansion des Imperiums bremste; es gab demgegenüber einen sich entwickelnden Individualismus, Differenzierungen und Unterschiedlichkeiten als Konsequenz des christlichen Glaubens im westlichen Europa und es gab einen relativ chaotischen Raum im Zentrum Eurasiens nach der Zerstörung Bolgarstans und dem späten, schon niedergehenden Kiew. In diesem Raum konnte Moskau sich als Puffer zwischen dem mongolischen Empire und dem westlichen Europa entwickeln.
Diese und noch eine Menge weiterer Tendenzen hatten sich entwickelt. Sie müssen bedacht werden, wenn man verstehen will, warum und wie die Teilung des Eurasischen Kontinentes in West Europa und den „verbleibenden  Rest“ nach den Mongolischen Eroberungen stattfand. So oder so aber steht als Tatsache zweifelsfrei fest: Hätten die Mongolischen Eroberer n i c h t  erst Bolgarstan zerstört, hätten sie  n i c h t Europa von einer Besetzung ausgespart und zugleich Nagdad zerstört, dann hätte die innere Dynamik des Eurasischen Kontinentes einen sehr anderen Weg genommen. Und das bedeutet, daß die Welt insgesamt sich anders entwickelt hätte.

Weiter mit dem Epos „Yttanpik“

Alle diese Ereignisse und Tendenzen, die mit der Konfrontationn der Kinder Attils und den Mongolischen Eroberern im 13. Jahrhundert zusammenhängen, können an einem weiteren Epos gezeigt werden, das ebenfalls durch die Tschuwaschische Tradition überliefert ist. Es handelt sich um die Tragödie um Yltanpik. Er war der letzte Zar Bolgarstans am Anfang des 13. Jahrhunderts. Er er fand sein Ende zusammen mit dem Ende des Bolgarischen Reiches. Das Epos erzählt die blutige Geschichte des Krieges zwischen den Mongolischen Eroberern und den Bolgarischen Vertedigern in der Zeit von 1224 bis 1236. Es beginnt mit der Beschreibung des Lebens in Bolgarstan, es endet mit dem Tod Yltanpiks und der Zerstörung des Bolgarischen Reiches.
Wichtig ist festzuhalten: Das Epos über Yltenpik ist keineswegs der einzige epische Stoff, der vor unseren Augen auftauchte, als wir begannen in die Geschichte, in die Legenden und in die Mythen vor und nach dem Tode Attils hinein zu schauen. Es ist eine erstaunliche Anzahl von Eurasischen Epen, Legenden, Mythen oder auch nur mündlichen Erinnerungen, die auftauchen, sobald man beginnt nach ihnen zu schauen:
– Da ist eine allgemeinere Figur unter dem Namen „Ulyp. Wir stießen auf diesen Namen, als wir am Text „Attil und Krimkilte“ arbeiteten. Nachforschungen in Tscheboksary im April 2011 zeigten, daß es da ein weiteres, noch älteres Epos gibt, zusammengestellt durch den Tschuwaschischen Autor Sijanin. Die Figur des „Ulyp“ könnte gewisse Ähnlichkeiten mit dem westlichen mythologischen König Arthur haben.
– Da ist ein Inguschisches Epos über die „Narti“. Es wurde uns bekannt durch eine junge Frau, Anna Kusnetsowa , die daran zur Zeit arbeitet und uns kontaktierte.
– Da ist das Georgische Epos von Rustaveli über den „Mann im Tigergestalt“,
– Da gibt es Motive wie den tibetisch-altaischen Cheser Chan, den türkischen Dede Korkut, einen türkiswchen Kreis von Legenden usw. usf.
Ich halte hier ein – denn wir beginnen erst, aber schon öffnet sich ein ganzer Kosmos gemeinsamer Erinnerungen, wenn auch zersplittert in verschiedene Namen, Aspekte, Epen, Legenden und verschiedene Geschichten. Wir haben wir uns entschieden, sie behutsam Schritt für Schritt mitzunehmen, während wir uns mit Yltanpik befassen. Was wir heute sehen, kann man ein Wiedererwachen Eurasiens nennen – befreit von Feindlichkeiten, Teilungen, Vorurteilen, die den Kontinent in zivilisierte und unzivilisierte, in entwickelte und sogenannte unterentwickelte Gebiete, in Polaritäten von westlicher Aufklärung und östlichem Mystizismus usw. geteilt haben. Anstelle dessen  könnte eine neue Wertschätzung dafür treten, was das ursprüngliche, das wirkliche Erbe Eurasiens ist, wenn es nicht in nationale oder ideologische Stücke geteilt wird. Ich würde dieses Erbe als gegenseitige Bereicherung durch kulturelle Wechselwirkung und Vielfalt bezeichnen. Das könnte die Botschaft sein, die von einem Kontinent ausgeht, der nicht nur seine Geschichte erinnert, wie sie an äußeren Tatsachen gesehen werden kann, sondern die kulturellen Ursprünge und auch die spirituelle Kraft hinter ihnen.

Konzentration auf den nächsten Schritt: Zar Yltanpik

Aber dies ist schon der Ausblick auf Morgen: Als nächsten Schritt finden wir es nützlich und notwendig, uns auf das Epos über Yltanpik zu konzentrieren, das heißt zu arbeiten und zu sprechen über diesen schmalen Zeitkorridor am Anfang des 13. Jahrhunderts, aus dem heraus die Gestalt Eurasiens sich in dieser gigantischen Weise veränderte.

Die Arbeit am Text hat bereits begonnen. Über den Text des Epos hinaus möchten wir zeigen:
1. Den Zusammenstoß am Beginn des 13. Jahrhunderts:
– Kurze Geschichte Bolgarstans vor der Ankunft der Mongolen.
– Geschichte der Kriege zwischen 1224 und 1258.
2. Konsequenzen der Mongolischen Expansion:
– Zerstörung des Islamischen Kalifates.
– Aufstieg Europas.
– Entwicklung Rußlands als Puffer im Dreieck
Moskau-Kasan-  Tschuwaschien( früheres Bolgarstan).
3. Die Ereignisse zwischen 1224 und 1258 aus mongolischer Sicht.
4. Erste Sausblicke auf den gemeinsamen eurasischen Mythenraum als Anregung für zukünftige Forschung – Ulyp/Gral.
5. Wissenschaftler Apparat: Chronolgie, Namen etc.

Einladung zur Zusammenarbeit

Rund um die die Zeit Yltanpiks entsteht so eine ganze Reihe von Fragen. Sie stellen sich an die Kinder Attilas, an die Nachkommen Bolgarstans, an die Menschen, die heute an der Wolga leben, an Russen, insbesondere an die Sibiriaken und an die Menschen im fernen Osten Rußlands wie auch an westliche Historiker – und selbstverständlich auch an uns selbst. Das ist die eine Seite und Kooperationen dazu haben bereits begonnen.
Aber da ist eine ähnliche Reihe von Fragen, die sich an mongolische Forscher und an Wissenschaftler stellt, die sich mit Mongolischer Geschichte befassen. Mag sogar sein, daß die Reihe der Fragen hier noch länger ist, weil von dieser Seite her sehr wenig im Westen bekannt ist, zumindest gilt das für uns, soweit es die konkreten Ereignisse am Beginn des 13. Jahrhunderts betrifft. Aber ich bin sicher, daß es da eine Menge Erinnerungen zu finden gibt.

Wichtig hervorzuheben, hat wir – meine Kollegen und ich – nicht nur an verschiedenen Sichtweisen interessiert sind, sondern mehr: Wer denken, es ist an der Zeit, das heißt, es ist jetzt möglich und nötig vergessene, verdrängte und sogar unterdrückte Erinnerungen an Eurasische Geschichte ins Licht der heutigen Wandlungen zu heben. Das bedeutet sammeln, analysieren und veröffentlichen vergessener und verdrängter historischer Sichtweisen, Legenden, Epen, Mythen und auch einfacher Geschichten und Erzählungen, die mündlich überliefert wurden und im politischen, bzw, kulturellen Untergrund überleben mußten. Darüber möchten wir hier auf dem Kongreß wie allgemein sprechen in der Hoffnung Menschen zu finden, die interessiert sind, mit uns zusammen in dieses Projekt zu gehen, das mit dem Epos „Attil und Krimkilte“ begann, und mit uns den nächsten Schritt konkreter Untersuchung rund um die Zeit Yltanpiks zu tun. Von zwei Seiten betrachtet, gesehen mit westlichen, mit bolgarischen, mit russischen, mit westeuropäischen Augen, wie auch mit den Augen der Mongolen (oder zumindest von Mongolisten) können wir ein neues Verständnis dazu finden, was in der kurzen Zeit am Beginn des 13. Jahrhunderts unserer Geschichte geschah – und welches die Konsequenzen sein könnten, die wir heute zu bedenken haben, wenn sich im Zuge der globalen Perestroika die „Mitte der Welt“ erneut zu verschieben beginnt.

Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de

Es gibt drei Bücher von mir, die sich direkt mit den hier angesprochenen Fragen befassen. Sie können über meine Adresse bestellt warden: info@kai-ehlers.de

•    Asiens Sprung in die Gegenwart – Entwicklung eines Kulturraums inneres Asien, Pforte 2006,  10 € (plus Porto)
•    Attil und Krimkilte, Das tschuwaschische Epos aus dem Sagekreis der Nibelungen, Rhombos, 2012, 42 € (plus Porto)
•    Kultur der Jurte, Probleme der Modernisierung des nomadischen Lebens. Gespräche mit mongolischen Partnern. 14,80 (plus Porto)

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