„Deutschlands Rolle in verwirrten Zeiten“, so lautete das Thema unserer letzten Runde. Tatsächlich, das sei gleich hier gesagt, schafften wir es diesmal nur bis zur Verständigung darüber, dass wir in verwirrten Zeiten leben – die Konkretisierung auf Deutschland mussten wir auf die nächste, also die mit diesem Bericht jetzt angekündigte Runde verschieben.
Wenden wir uns also hier nur der generellen Frage zu, in welchen Zeiten wir leben. Ausgangspunkt und zugleich Roter Faden des Gespräches war die durch die Corona-Krise entstandene Notwendigkeit, zwischen berechtigten und unberechtigten Einschränkungen des öffentlichen Lebens, berechtigten oder unberechtigten Protesten gegen die Einschränkungen, zwischen willkommenen und unwillkommenen Bündnispartnern in der um diese Fragen geführten Auseinandersetzung zu unterscheiden.
Weitgehende Einigkeit bestand in der Kritik an der Unverhältnismäßigkeit des herrschenden „Shutdowns“ und der ihm folgenden Maßnahmen sowie an der für den Herbst und Winter bereits wieder aufgebauten Angstkulisse einer „zweiten Welle“. Einigkeit bestand auch darin, dass Widerstand gegen unverhältnismäßige und undifferenzierte Maßnahmen der staatlichen „Fürsorge“ berechtigt sei. Unsicherheiten traten in der Frage zutage, in welchen Formen – und vor allem, mit wem zusammen dieser Widerstand zu leisten sei. Sollen, dürfen, müssen die Protestaktivitäten gegen ein überzogenes Corona-Regime offen für jedermann und jedefrau sein, gleich, aus welchem politischen Lager sie kommen, weil alle gleichermaßen davon betroffen sind, oder sind Abgrenzungen gegen Missbrauch der Proteste notwendig? Und wenn sie als notwendig erachtet werden – dann nach welchen Kriterien?
Hintergrund dieser Fragestellung waren selbstverständlich die Erfahrungen mit dem bisherigen Protestgeschehen, in deren Verlauf sich in zunehmendem Maße rechte Kräfte in die offene Szene der politisch indifferenten Groß-Demonstrationen und Aktivitäten eingemischt haben, die offenbar vorhaben sich weiter einzumischen. Das war und ist ‚Gefundenes Fressen‘ für die Medien, mit dem sie die Demonstrationen diffamieren können. Da brauchen sie über die verschiedenen inhaltlichen Beiträge nicht mehr zu berichten.
In den Mittelpunkt des Gespräches rückte deshalb die Frage der Unterscheidung. Wie ist damit umzugehen, wenn Kritik am Corona-Regime des Staates, wenn Forderungen zur Verteidigung der Demokratie, grundlegender Menschenrechte und so weiter nicht nur von bisher unpolitischen betroffenen Mitbürgern und Radikaldemokraten, selbst von einigen Linken vorgebracht werden, sondern auch von Menschen, die dem rechten Spektrum zugehören und dies auch offensiv zu erkennen geben? Integrieren? Ignorieren? Tolerieren?
Die Fragen sind nicht mit Einordnung oder Ablehnung äußerer Merkmale, also Fahnen, Tattoos oder aggressivem Gebaren allein zu erledigen, nach denen „Störer“ aussortiert werden könnten. Es geht auch nicht einmal nur um Vokabeln wie Demokratisierung, Selbstbestimmung, „small is beautiful“, Regionalisierung oder Ähnliches, nach denen die Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Lager der Staatskritiker erkennbar wäre. Es geht um die Unterscheidung, aus welcher Richtung und mit welchem Ziel der Staat kritisiert wird – in Richtung einer demokratischen Öffnung oder in Richtung der Stärkung eines nationalistischen Abschlusses, also in Richtung der Überwindung oder in die einer Verfestigung des einheitlichen Nationalstaates. Also, klar gesagt, geht es darum, kein Einfallstor für einen nationalistischen Missbrauch des berechtigten und wachsenden Unmuts zu öffnen.
Nur wenn diese Frage offensiv gestellt wird, werden sich Kriterien finden lassen, mit wem wir gemeinsam gegen staatliche Bevormundung protestieren können – und mit wem nicht.
Und diese Frage ist selbstverständlich auch keine „deutsche“ Frage, sondern eine Frage, die sich aus der Entwicklungstendenz des heutigen globalen Organismus stellt. Zu beobachten ist zurzeit ein Rückzug der Staaten in die Isolation des Einheitlichen Nationalstaates, statt ihrer Öffnung für globale Kooperation. ‚Abstand halten‘ wirkt zurzeit auch zwischen Staaten.
Statt notwendiger Kooperation erlebt die Welt zunehmende Konkurrenz, in der sich die Mächte neu gruppieren. In dieser Welt muss auch Deutschland seinen Platz neu finden.
Dazu das nächste Mal:
Deutschland in verwirrten Zeiten (Teil zwei)
Wir treffen uns am 08.11.2020 wie üblich um 15.00 Uhr
Vorausgesetzt, es macht uns niemand einen Strich durch die Rechnung.
Erkundigt Euch also bitte elektronisch oder telefonisch, ob wir den Termin halten können.
Bitte bringt eine Kleinigkeit zum Knabbern mit und meldet Euch an, wenn möglich. Freunde und Freundinnen, interessierte Gäste, streitbare Geister sind willkommen. Oder sagt auch ab, wenn Ihr das für geboten haltet.
Anmeldungen ggfls. über die Adresse www.kai-ehlers.de
Seid herzlich gegrüßt,
Kai Ehlers, Christoph Sträßner
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Zum Thema findet Ihr unter www.kai-ehlers.de auf der nächsten Seite:
– Corona und Antifa https://kai-ehlers.de/2020/09/corona-und-antifaschismus-gedanken-zur-inflation-des-faschismus-begriffes/
– Deformation des Sozialen. https://kai-ehlers.de/2020/10/deformation-des-sozialen-aufforderung-zur-gegenseitigen-hilfe/
Und hier noch einmal ein Hinweis auf das Buch, das Pate bei der Geburt des Forums war .Grundeinkommen – Sprungbrett in eine integrierte Gesellschaft
Verlag Pforte/Entwürfe, September 2006, ISBN 978-3-85636-191-4, 14 € (+ Porto)
Perspektiven für die Wiedergeburt des Sozialen unter dem Druck der Globalisierung.
Unter den Bedingungen des der „Corona“-Krise aktueller als zuvor.
Es sind noch Restexemplare erhältlich. Bestelladresse: www.kai-ehlers.de
P.S.
Es gilt, was immer gilt: Wer keine Berichte vom „Forum integrierte Gesellschaft“ mehr bekommen möchte – kurze Rückmeldung genügt.