Stimmabgabe oder Selbstbestimmung?

Schafft zwei, drei viele Allmenden!

                                                                                                                            Bericht vom 31. Treffen am 13.10.2013

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Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

das Thema „Stimmabgabe oder Selbstbestimmung?“ mag den einen oder die andere provozieren. Es kann natürlich nicht um ein Entweder-Oder gehen. Die polemische Polarisierung vermag aber vielleicht auf einen Blick deutlich zu machen, wo heute das Problem liegt – eben darin, daß Zusammengehöriges im realen Geschehen unserer heutigen politischen Wirklichkeit auseinandergerissen wird. Tatsache ist ja, daß die Wahlen bei uns heute zunehmend gleichbedeutend damit sind, daß wir Wähler unsere Stimme abgeben – und dann ohne weitere Einflußmöglichkeiten mit ansehen müssen, wie die „politische Klasse“ sich die Wahlergebnisse zu den gerade passenden Koalitionen zurechtschiebt. Wobei für die, ihrer Stimme nicht mehr mächtigen, Wählerinnen und Wähler nicht einmal mehr deutlich wird, nach welchen Kriterien hinter verschlossenen Türen was von wem mit wem verhandelt wird. Was davon an die Öffentlichkeit dringt, ist Filterware pur!

    Mit Selbstbestimmung eines mündigen Bürgers hat dieser Vorgang jedenfalls nicht mehr viel  gemein. Selbstbestimmung, Entwicklung eigener Initiative, Gestaltung der eigenen Lebensverhältnisse in einem für den einzelnen Menschen überschaubaren Raum, liegt offenbar auf einem anderen Feld und den Zusammenhang zur herrschenden repräsentativen Demokratie herzustellen, ist schwierig.

    Aber genau darum geht es. Wir wollen das Kind, das nach so viel Mühen zur Welt gekommen ist, also die heute praktizierten Regularien der repräsentativen Demokratie, auf unserem Weg zur Selbstbestimmung ja nicht mit dem Bade ausschütten. Dafür sind zu viele Menschen für das Wahlrecht gestorben. Und dafür ist allzu deutlich, daß viele Menschen auf unserem Globus, aller Modernität und aller Vernetzung zum Trotz, immer noch nicht das Recht haben, sich ihre VertreterInnen frei zu wählen. Oder sie haben zwar das Recht, aber nicht die materiellen Voraussetzungen ihr Recht praktisch wirklich wahrzunehmen. Was nützen schließlich formale Rechte, um es krass zu formulieren, wenn man z.B. die Wege zum Wahllokal nicht bezahlen kann.

    Also kurz, es geht nicht darum, repräsentative Demokratie gegen Formen direkter Demokratie oder unmittelbarer Selbstbestimmung auszuspielen. Es geht darum, in welchen Formen Selbstbestimmung  als Weiterentwicklung des demokratischen Gedankens gestärkt werden kann, und zwar nicht Selbstbestimmung in individueller Isolation, sondern in kooperativer Gemeinschaft.

Schaut man so in die Fragestellung, dann wird sehr schnell deutlich, worum es im Kern geht, und zwar sowohl in den Formen repräsentativer wie auch direkter Demokratie bis hin zur unmittelbaren Selbstbestimmung des Einzelnen: Es geht um die Motivation, genauer, die Bereitschaft, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Diese Tatsache ist so banal, daß sie immer wieder als selbstverständlich vorausgesetzt oder gar vergessen wird.

   Ebenso banal ist jedoch auch die Tatsache, daß die aktivste Verantwortungsbereitschaft des Einzelnen wie auch ganzer Gemeinschaften nichts fruchtet, wenn der stille, soll heißen, der unhinterfragte gesellschaftliche Konsens darin besteht, daß die Verantwortung für die öffentlichen Belange bis hin zur persönlichen Wohlfahrt der Bürger und Bürgerinnen allein bei „dem Staat“ gesehen wird. Demokratie wächst von unten, heißt das, aber damit sie sich frei entwickeln kann, braucht es einen zwischen den Individuen und gesellschaftlichen Gruppen ausgehandelten Konsens über Wert, Gültigkeit und Funktionsweise einer strikten Subsidiarität, d.h., einer politisch-rechtlichen Struktur, sei sie wie immer im Detail gegliedert, in der die oberen Organe im Interesse der Verwirklichung der Menschenrechte Diener der unteren sind. Motto, zugespitzt formuliert: Willensbildung und konkrete Gestaltung geschieht an der unmittelbaren Lebensbasis entlang tatsächlichen Bedarfs. Nach „oben“ wandern nur die Aufträge, die vor Ort nicht umgesetzt werden können. Exekutivkompetenzen nehmen ab, je weiter die jeweiligen Organe von der Basis entfernt sind und verwandeln sich in demselben Maße in Maßnahmen der Unterstützung und Beratung.

Aber wo gibt es heute einen solchen Konsens? Nicht in Deutschland, nicht in der Europäischen Union.  Nicht in den USA und auch sonst nirgends in der Welt. Ein solcher Konsens ist heute immer noch Utopie. Mehr noch, es sieht zur Zeit sogar so aus, als ob das bereits erreichte Niveau der demokratischen Kultur im Zuge der globalen Krise rückläufig sei – auch  in der Europäischen Union, auch in Deutschland. Die weltweite Migration führt zudem dazu, daß bestehende demokratische Strukturen unter starken Veränderungsdruck kommen. Um so unabweisbarer wächst die Herausforderung sich nicht nur für den Erhalt demokratischer Strukturen, sondern für deren Weiterentwicklung von der Basis her einzusetzen.

Für das nächste Mal haben wir deshalb noch einmal die „Charta für ein Europa der Regionen. Wege der Selbstbestimmung auf freiheitlicher und demokratischer Grundlage“ auf die Tagesordnung gesetzt, die wir schon einmal im Zuge ihrer Erarbeitung 2012 kurz besprochen haben. Inzwischen liegt die Charta öffentlich vor, nachzulesen auf der Website der „Initiative Demokratiekonferenzen“ unter  http://www.demokratiekonferenz.org/charta. Zu empfehlen ist rückgreifend auch der Bericht zum 18. Treffen des „Forums integrierte Gesellschaft“ vom 10.06.2012 unter der Überschrift „Europa der Regionen“ (einzusehen unter: www.kai-ehlers.de / Forum integrierte Gesellschaft).

    In der „Charta“ wird der Versuch unternommen, den Entwurf einer subsidiären Gesellschaft der Selbstbestimmung in kooperativer Gemeinschaft zu entwerfen. Für die Zeit vom 14. – 16.02.2014 lädt die „Initiative Demokratiekonferenzen“ unter dem Thema „Europa der Regionen“ VertreterInnen von Initiativen, Gruppen und auch Parteien, die auf dem Feld der Demokratisierung aktiv sind, zu Beratungen über mögliche gemeinsame Alternativen im Vorfeld der Wahlen zum Europäischen Parlament und darüber hinaus ein.

Termin für das kommende Treffen:

Sonnabend, d. 16.11.2013 um 16.00 Uhr in der Jurte,

(Anmeldung)

 Im Namen des „Forums integrierte Gesellschaft“,

Kai Ehlers, Christoph Sträßner