Bomben in Moskau – auf ein Wort

Erneuter Bombenanschlag in Moskau: Dieses mal in der Wartehalle des Flughafens Domodedowo. 35 Tote, 180 z. T. schwer Verletzte. Unmittelbare Zeugen, Angehörige der Opfer stehen unter Schock. Soll man, darf man kommentieren? Man könnte sich selbst unter den Opfern befinden, hat aber zehn oder hundert Meter daneben gestanden, ist also noch einmal davon  gekommen, oder hört zuhause durch Presse oder Fernsehen davon. Irgendwo auf dem Globus. Die Welt ist erschüttert – der Betrieb auf dem Flughafen geht weiter. Der Alltag Moskaus ist kaum berührt. Die öffentlichen Reaktionen kommen wie schon gewohnt: Ein hilfloser Präsident Medwjedew kritisiert eine laxe Handhabung von Sicherheitsmaßnahmen und kündigt Maßnahmen an. Ministerpräsident Putin verspricht die Verfolgung und Vernichtung der Terroristen. Die Presse, russische wie internationale, spekuliert über die Urheber. Urteile stehen fest, bevor Fragen gestellt wurden. Sensationsberichte, detaillierte Videos vom Ort des grausigen Geschehens bedienen die Lüsternheit einer globalen medialen Spannergemeinde. Schnell gefertigte Berichte von früheren Vorgängen ähnlicher Art täuschen so etwas wie eine Überschaubarkeit oder Erklärbarkeit vor.

Also? Besser schweigen? Ganz sicher nicht. Aber statt Spekulationen über die Urheber auszustoßen, wo nichts klar ist, statt Schuldzuweisungen vorzunehmen, wo beim besten Willen nichts verhindert werden konnte oder Racheschwüre auszustoßen, die nicht umgesetzt werden können, wäre es hilfreicher, Fragen zu stellen. Woher kommt diese Gewalt? Welchen Charakter trägt sie. Wer übt sie aus? Warum? Wen trifft sie? Wem nützt sie? Gibt es Möglichkeiten ihr im Ursprung zu begegnen?

Das sind lauter Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt. Sie sollen auch hier nicht in aller Schnelle durchgehechelt werden. Nichtsdestoweniger können sie nicht nur, sie müssen gestellt werden, wenn wir nicht zwischen einem Sicherheits- und Kontrollwahn auf der einen Seite und Strategien der gnadenlosen Verunsicherung und gezielten Chaotisierung, die sich gegenseitig eskalieren, geistig und seelisch verkommen wollen. Welche Entmenschung drückt sich darin aus, die Zerstückelung des eigenen Lebens zum Instrument der Zerstückelung anderer Menschen jund ihrer verhassten Ordnung zu machen! Welche Entmenschung drückt sich aber auch darin aus, auf diese Taten mit Krieg, mit Gegenterror zu antworten! Was ist das für eine Welt? Was sind ihre Werte, ihre Ziele? Die der einen, die der anderer? Dieses Gespräch müssen wir miteinander führen. 6,3 Milliarden Menschen leben heute auf unserem Planeten. In einer Generation werden es ca. 9 Milliarden sein. Wenn wir es nicht lernen, miteinander darüber zu sprechen, wie wir das Leben für alle gestalten können, ohne irgendjemanden individuell oder irgendeine Gruppe als „überflüssig“ auszugrenzen, werden wir keine oder zumindest eine schreckliche Zukunft haben – dafür brauchen wir dann nicht einmal mehr eine Klimakatastrophe oder irgendeinen kosmischen Unfall.

Kai Ehlers

www.kai-ehlers.de

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