Schwanengesang oder Vorkriegsgerassel?

Die Welt erlebt gerade ein bemerkenswertes Schauspiel: die krisengeschüttelte Weltmacht USA baut eine Drohkulisse gegenüber ihren Herausforderern auf. Man fragt sich: Kann diese Weltmacht in ihrer gegenwärtigen Verfassung dem wirklich eine entsprechende Politik folgenden lassen oder bläht sie nur ihre Muskeln?

Wer genauer hinschaut, wird sich nicht in Hysterie treiben lassen wollen. Zwar rüstet die US-Regierung seit Antritt Joe Bidens verbal auf, verpflichtet ihre europäischen Vasallen zu nachfolgendem Gehorsam und zu sich überschlagenden Drohungen gegen Russland und China. 

Man erinnere sich an den geradezu wahnhaften Forderungskatalog des Europäischen Parlaments an Russlands Adresse vor wenigen Wochen, in dem Russland zur Ordnung, das heißt zur Unterordnung unter die westliche Dominanz und deren „Werte“ gerufen wurde. Aktuell folgen dem jetzt auch Vorstöße gegen die Durchführung olympischer Winterspiele in China. Man höre die martialischen Drohungen des US-Außenministers Antony Blinken, der Russland „ernste Konsequenzen“ androht, wenn es nicht von seinen „Aggressionen“ gegen die Ukraine ablasse. Man höre, wie diese Drohungen von NATO-Chef Stoltenberg, von Annalena Baerbock, der noch sehr grünen deutschen Außenministerin und aktuell im Echo noch einmal von den G7 nachgeplappert werden, wenn sie von Truppenbewegungen an den Ukrainischen Grenzen fabulieren, die Russland an den Grenzen der Ukraine durchführe. Wohlgemerkt: auf einem Truppenübungsgelände 300 Kilometer von der Grenze entfernt auf russischem Territorium. Man schaue in die westlichen Blätter und höre die führenden westlichen elektronischen Medien, die einen Ton anschlagen, der Erinnerungen an Vorkriegspropaganda vor dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg wachruft.

Wenn es nach diesen Signalen ginge, dann stünde der große Schlagabtausch unmittelbar vor der Tür und Europa würde das Schlachtfeld werden.

Aber wie reagiert Russland, konkret Putin? Er demonstriert Biden kühl, dass Gesprächsbedarf besteht. Er fordert die NATO im Klartext auf, keine weitere Ost-Erweiterung zu betreiben. Er macht deutlich, dass der Westen, wenn er es denn auf eine scharfe Austragung des Konfliktes ankommen lassen wolle, den russischen Hyperschallraketen nichts entgegenzusetzen hätte und dass im Ernstfall das Ganze in weniger als drei Minuten erledigt wäre.

Biden lenkt ein, hält nur seine Drohkulisse aufrecht. Was also spielt sich ab? Wovon will Biden ablenken? Was treibt die Europäer, genauer die Politokraten Brüssels, insbesondere auch Deutschlands trotz einer von der Rand-Korporation vor wenigen Wochen vorgelegten Analyse, die Russland bescheinigt nicht aggressiv zu sein, keine imperialen Absichten zu haben, vor allem anderen auf Verteidigung seiner Souveränität bedacht zu sein, die Russen dennoch derart in die Enge treiben zu wollen, wie das gegenwärtig geschieht?

Die Analyse der RAND  Corporation, also des führenden „Think-tanks“ des US-Militärs ist ja nicht etwa von Freundschaft zu Russland inspiriert – sie resultiert vielmehr aus einer richtigen Einschätzung von russischer Befindlichkeit, die sich in dem Satz ausdrückt, den in Russland jeder kennt: “Der russische Bauer spannt lange an, aber wenn er einmal aufbricht, dann geht es im Karacho“. Die Analyse ist nicht etwa ein Lob Russlands, sondern eine Warnung an die Adresse der US-Regierung, Russland nicht in ein solches ‚Karacho‘ zu treiben.

Sollten Biden und seine Nachpläpperer unter den EU-Politbürokraten diese einfach Tatsache nicht verstanden haben? Oder inszenieren sie das Geschrei der letzten Wochen nur, um ihre innenpolitischen Probleme in der Ausrichtung gegen einen gemeinsamen Feind zu übertönen?

Alle Anzeichen sprechen dafür, dass das Letztgenannte der Fall ist. Biden unter dem Beschuss einer wachsenden Opposition, die Brüsseler Bürokraten im Konflikt mit wachsen den nationalistischen Tendenzen in der Europäischen Union, insonderheit seitens der östlichen Mitglieder, vor allem Polens. Da wird ein gemeinsamer Feind gebraucht, an dessen Aufbau man sich ausrichten kann.

Allerdings ist auch eine solche Ausrichtung selbstverständlich ein Spiel mit dem Feuer in einer Welt, die gerade von globalen Bedrohungsängsten in nationalistische Abgrenzungshysterien getrieben wird.

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de