Rückschau auf das Jahr 2020 – Protokoll eines nicht gehaltenen Vortrags

Liebe Freunde, liebe Freundinnen

Seien Sie herzlich gegrüßt zum neuen Jahr!

Eine Rückschau auf das letzte Jahr wollten wir miteinander halten, wollten gemeinsam auf das schauen, was uns bewegt hat, wollten uns im Gespräch gegenseitig stützen, miteinander Kraft und Perspektiven für die Zukunft gewinnen.

Jetzt zwingen uns die Abstandsregeln der Corona-Krise auf das Treffen zu verzichten und uns auf eine schriftliche Fassung dessen zu beschränken, was sich im freien Wort hätte entwickeln sollen, wenn wir nicht ganz auf den Austausch verzichten oder ihn ins Digitale verschieben wollten. Mit diesem Befund sind wir aber auch schon an der wichtigsten Botschaft des zurückliegenden Jahres angekommen, mit der wir für die weitere Zukunft konfrontiert sein werden, nämlich: Jetzt und in Zukunft umgehen zu müssen mit extremer Einsamkeit bei gleichzeitig eskalierenden Formen von totalem Kollektivismus – und zugleich die Gemeinschaftlichkeit bewusster Individuen zu suchen und zu fördern.  

 

Wie kann man das schildern?

Zugegeben, ich war zunächst etwas ratlos.

Aber vielleicht kann ich an meiner Person etwas aufzeigen?

Mir war, wie wohl vielen von Ihnen ebenfalls, seit Jahren bewusst, dass unsere Gesellschaft, auf einen kritischen Punkt zusteuert, von dem es kein Zurück mehr geben würde, auf einen Punkt, an dem die Zivilisationsschäden der letzten Jahrhunderte, insbesondere die Exzesse einer profitorientierten Globalisierung des letzten Jahrhunderts, zu einem unausweichlichen Umbruch, Zusammenbruch, Chaos zusammenfließen würden, fließen mussten. Wie immer wir es benannt haben.

Dass dieser Umbruch nicht, wie schon zweimal im letzten Jahrhundert, durch einen globalen Krieg, sondern in neuer Gestalt eintreten würde, war klar. Darüber haben wir schon im letzten Jahr miteinander gesprochen. Das globale atomare Patt wirkte als Bremse, die in eine, wie soll ich sagen? – zunehmend explosive Stagnation führte. (Mehr dazu: https://kai-ehlers.de/2018/07/trump-und-putin-ein-prekaeres-patt/ )

Einfach gesprochen – Covid 19 ist nicht die Ursache der gegenwärtigen Krise, sondern bereits Resultat der über den kritischen Punkt hinausgewachsenen Gleichgewichtsstörungen unseres Planeten. Aber ebenso einfach muss man sagen, dass die Entdeckung des Virus einigen Kräften gerade zupass kam, um daran ihre Agenda einer globalen Krisenbewältigung zu aufzuhängen. Das war schon Anfang des Jahres klar.

Entsprechendes habe ich gleich zu Beginn der Krise, am 22. März, in einem Text:  „Coronawahn – Perversion der Solidarität“ unter der Zwischenüberschrift „Aspekte des Mißbrauchs“ geschrieben, allerdings, inzwischen muss man das noch einmal besonders betonen, ohne damit Spekulationen unterstützen zu wollen, dass das Virus künstlich geschaffen worden sei. 

Aus diesem Text möchte ich eine Passage zitieren. Ich schrieb:

 

„Coronawahn – Perversion der Solidarität“

„Wer jetzt Spekulationen über den möglichen geheimdienstlichen Ursprung des Virus  oder andere dunkle Kanäle erwartet, wie sie zur Zeit durch die Medien geistern und auch ins soziale Netz schießen, wird hier nichts finden.

 Klar ist aber, dass Teile der herrschenden ‚Eliten‘, angesichts der gegenwärtigen globalen Übergangskrise, in deren Verlauf sie die Kontrolle über die Bevölkerungsbewegungen verlieren könnten, die Gelegenheit nutzen, Notstandsübungen im großen Maßstab durchzuführen. Probeläufe für den Tag X, sozusagen. 

Klar ist auch, dass die Corona-Panik alle anderen Bedrohungsdebatten der letzten Zeit absorbiert. Und sie pervertiert ‚Gemeinschaftsgeist‘ zur Aufforderung sich dem Kollektiv, vertreten durch den Staat, durch freiwillige Isolation zu unterwerfen. In ihr kulminiert eine geistige Verfassung der Gesellschaft, die schon länger von Endzeiterwartungen geprägt ist.

Klar ist schließlich auch, dass aus der Mentalität des Schottenabdichtens, die gegenwärtig um die Welt geht, ein kruder Nationalismus zu folgen droht. Globalisierung war gestern, tönt es von allen Seiten.  

Dem allen ist entgegenzusetzen: Es gibt kein Zurück hinter die Globalisierung. Es kann nur ein Voran zu Formen des Zusammenlebens geben, in der die Menschen vor Ort ihre Verbindungen zu globalen Netzen in überschaubaren Verantwortungsketten selbst herstellen, statt dass diese abgehoben vom örtlichen Bedarf wuchern.

Dies alles wird in der nächsten Zeit noch genauer zu betrachten und zu durchdringen sein. Entscheidend dürfte jetzt aber erst einmal sein, sich entgegen öffentlicher Parolen nicht in die Selbstisolation und nicht in die Vermeidung sozialer Kontakte und eine damit einhergehende Ohnmacht und Abhängigkeit von obrigkeitlichen Maßnahmen treiben zu lassen, sondern die eigenen Immunkräfte zu stärken, Kraft und Vertrauen in der aktiven sozialen Begegnung, im ausdrücklichen Bemühen um Alternativen zur staatlichen Bevormundung und zu den gesellschaftlichen Verhältnissen zu suchen, die aus einem biologischen Problem eine globale Notstandsübung machen. Es geht darum, das Erwachen des Ich am anderen Menschen zu praktizieren, statt sich auseinanderdividieren und gegeneinander in Stellung bringen zu lassen. Es geht um gegenseitige Hilfe, statt Ab- und Ausgrenzung, um Begegnung statt Isolation. Das ist das Soziale, was jetzt gefordert ist. Das ist die Solidarität, um die es wirklich geht. Das schließt Vorsorge gegen Infektionen selbstverständlich  nicht aus, sondern ein.“ (Mehr dazu: https://kai-ehlers.de/2020/03/coronawahn-perversion-der-solidaritaet/)

Ich war nicht er Einzige, der sich eine Auseinandersetzung mit dem „Covid 19“ in diesem Sinne gewünscht hätte. Stattdessen führte die Auseinandersetzung um „Covid 19“ zu Zerwürfnissen, öffentlich und auch in meiner nächsten Umgebung, mit alten Freunden, bei mir sogar mit meinem eigenen Sohn, denen ich schließlich öffentlich erklären musste, warum ich als alter Antifaschist der 70er und 80er Jahre, das militante Vorgehen der sich heute so nennenden „Antifa“ gegen die Kritiker der staatlichen Corona-Politik nicht richtig fände. Ob ich vielleicht gar ein „Rechter“ geworden sei, musste ich mich fragen lassen. Dies glücklicherweise nicht von meinem Sohn, aber rechtfertigen musste ich mich auch ihm gegenüber, allein schon für meine Forderungen nach Differenzierung und meine Kritik an mangelnder Verhältnismäßigkeit der staatlichen Anti-Corona-Maßnahmen.  

(Wer sich für diese Auseinandersetzung genauer interessiert, findet den Text dazuauf meiner Website unter dem Titel: „Corona und Antifaschismus“ https://kai-ehlers.de/2020/09/corona-und-antifaschismus-gedanken-zur-inflation-des-faschismus-begriffes/ )

Ähnliches wie das, was ich erlebt habe, habe ich von Freunden und Bekannten gehört. Ähnliches werden Sie aus Ihrer Umgebung kennen. Ein ungutes, gefährliches Klima hat sich im Zuge dieser Auseinandersetzung im Lande entwickelt.

Kommt zu allem hinzu, dass die Regeln des „social distancing“ nicht nur in der engsten Umgebung, nicht nur im eigenen Land, sondern auch zwischen Staaten neue Grenzen haben wachsen lassen. So kann ich, um das nur leispielhaft noch zu nennen, zurzeit nicht zu meinen Forschungen nach Russland aufbrechen. Sie werden ähnliche Fälle kennen.

Aktuell droht selbst die unter Parolen der Solidarität entwickelte globale Impfkampagne, als vorläufig letzte Steigerung dieses Prozesses, zu scharfen Konkurrenzen zwischen Stadt und Land, zwischen Regionen und zur Verschärfung des in letzter Zeit ohnehin schon wieder gewachsenen Nationalismus zu führen.

 

Eskalation der „Optimierung“

Dies alles führt in einen globalen Strudel, von dem wir nicht wissen, ob wir in ihn hineingezogen werden und ob oder wo er uns wieder hinausdrückt –  während wir als Objekte dieses Prozesses unter staatlicher Kontrolle an das Haus gebunden sind.  

Nur eines ist unübersehbar: Im Zentrum des Corona-Soges erscheint das Wort „Optimierung“, Optimierung des Menschen, genauer, deren aktuelle technische Variante.

Was ist damit gemeint, nachdem frühere Varianten der Verbesserung des Menschen, insonderheit die beiden letzten Ansätze des Stalinismus und des Nazismus, die unter dem Stichwort der Heranbildung eines neuen Menschen im vorigen Jahrhundert unternommen wurden, gescheitert sind?

Diese Versuche sollen hier nicht in extenso ausgeführt werden. Ich darf in dem hier gesteckten Rahmen davon ausgehen, dass die sozialistische wie auch die nazistische Variante des „neuen Menschen“, wie auch deren Unterschiede, hinlänglich bekannt sind.

Auch ist nicht vom „Übermenschen“ die Rede, zu dem sich zu Unrecht zu erheben der Erdgeist in Goethes „Faust“ den Gelehrten zurechtweist, und ebenfalls nicht gemeint ist hier der „Übermensch“ aus Nietzsches „Also sprach Zarathustra“.  

Gemeint sind die ideologischen Konstrukte des zwanzigsten Jahrhunderts: der sozialistische und der nationalsozialistische „Held“. So viel aber muss hier gesagt werden: Sowohl der sozialistische neue Mensch, als auch der nazistische „Übermensch“ waren, wenn auch in unterschiedlicher Bedeutung, als ideologische Konstrukte immer noch Elemente der analogen Welt. Der optimierte Mensch der Zukunft, der mit dem Rückenwind der Corona-Krise jetzt verwirklicht werden soll, ist dagegen nicht mehr der analoge, er ist der technisch optimierte, der digital aufgerüstete, wenn nicht gar der durch den Cyborg ersetzte Mensch. 

Träger dieser Impulse sind Transhumanisten und Posthumanisten, wobei sich Trans- und Posthumanisten dadurch unterscheiden, dass die Transhumanisten den Menschen technisch verbessern, Posthumanisten ihn durch den Cyborg ganz ersetzen wollen. Im Grundimpuls überschneiden sich beide Strömungen darin, dass sie den jetzt lebenden Menschen als unvollkommene analoge, als organische Variante überwinden wollen. Stellvertretend sei Ray Kurzweil genannt, technischer Direktor bei Google, der es ungeniert ausspricht: Die jetzigen, der analogen Welt noch verhafteten Menschen werden gegenüber dem zukünftigen technisch optimierten Menschen als „Organwesen“ zurückbleiben. Mit der in die Robotik verlagerten Intelligenz werde der neue Mensch schließlich Unsterblichkeit erlangen.

(Mehr dazu: https://kai-ehlers.de/2019/09/transhumanismus-provokation-wahn-oder-verbrechen/)

Man mag diese Fantasien für irreal halten und geht damit wohl nicht fehl. Politingenieure wie Klaus Schwab, Initiator und Leiter des Weltwirtschaftsforums (WEF) treten jetzt jedoch an, um diese Ideen in die Praxis zu führen. Unter dem Motto „the great reset“, der „Große Umbruch“ propagiert Schwab in vollkommener Offenheit das globale, umfassende und allseitige Programm der technischen Optimierung von Mensch, Staat und Gesellschaft nach den Vorgaben der großen Techno-Konzerne. Politiker wie Joe Biden, Angela Merkel, Wladimir Putin, Xi Jinping uam. konkurrieren auf diesem Parkett miteinander.

Was wie ein „Neustart“ zur Rettung der Welt aus der katastrophalen Krisenlage daherkommt, führt als „Vierte industrielle Revolution“ geradewegs in verschärfte Konkurrenz, jetzt im digitalen Raum, zu verschärftem Kampf um Ressourcen, im Effekt zu einer weiteren Eskalation der gegenwärtigen Umweltkatastrophe. Absehbare Folge ist die weitere Gefährdung der Gesundheit der Menschheit insgesamt, insbesondere aber deren analog lebender Teile, die von den Profiteuren der „optimierten“ Gesellschaft zurückgelassen werden – wenn sie sich nicht durch einen Sturm auf die Maschinen dagegen auflehnen.

 

Der andere Weg

Damit kommen wir auf die andere Seite der Optimierung, die durch die skizzierte Entwicklung geradewegs provoziert wird: Entwicklung, Förderung, Pflege der geistigen und schöpferischen Natur des Menschen, die über seine bloße biologische Existenz und die drohende Unterwerfung unter die „intelligente“ Maschine hinausweist. 

Statt weiterer Ausführungen zu Einzelheiten dieses Weges möchte ich an dieser Stelle mit einem Zitat von Rudolf Steiner aus dem Jahre 1917, also dem Höhepunkt der technischen Katastrophe des ersten Weltkriegs, schließen. Es betrifft die Frage der Beziehung von Mensch und Maschine,  die bis zu seinem Tode eines der zentralen Themen Steiners war:

„Dem „Zusammenschmieden des Menschen mit der Maschine“ erklärte er, könne die Menschheit nicht ausweichen. Das liege im Gang der Evolution. Wörtlich: „Diese Dinge dürfen nicht so behandelt werden, als ob man sie bekämpfen müsste. Das ist eine ganz falsche Anschauung. Diese Dinge werden nicht ausbleiben, sie werden kommen. Es handelt sich nur darum, ob sie im weltgeschichtlichen Verlaufe von solchen Menschen in Szene gesetzt werden, die mit den großen Zielen  des Erdenwesens in selbstloser Weise vertraut sind und zum Heil der Menschen diese Dinge  formen, oder ob sie in Szene gesetzt werden von jenen Menschengruppen, die nur im egoistischen oder im gruppenegoistischen Sinne diese Dinge ausnützen. Darum handelt es sich. Nicht auf das Was kommt es in diesem Falle an, das Was kommt sicher; auf das Wie kommt es an, wie man die Dinge in Angriff nimmt. Denn das Was liegt einfach im Sinne der Erdenentwickelung. Die Zusammenschmiedung des Menschenwesens  mit dem maschinellen Wesen, das wird für den Rest der Erdenentwickelung ein großes, bedeutsames Problem sein.“

(Nachzulesen in: „Individuelle Geistwesen und ihr Wirken in der Seele des Menschen“, Vortrag vom 25.11. 1917,      GA 178, S.  218, zitiert nach Paul Emberson, „Von Gondishapur bis Silicon Valley, S. Band II, S. 575/)

Rudolf Steiner hat als konkrete Konsequenz aus dieser Einsicht die Idee der Dreigliederung des sozialen Organismus entwickelt. Angesichts der heute nicht mehr nur am Horizont, sondern in der Realität erscheinenden Möglichkeiten des Missbrauchs der technischen Zivilisation bis hinein in die Entwicklung einer präventiven Gesundheitsdiktatur eines allmächtigen Kontrollstaats hat die Überwindung monokausalen Denkens in der Wissenschaft, wie sie sich in der Virologie zuspitzt, des monopolistischen Handelns in der Wirtschaft, wie es in den Tech-Konzernen hochkommt, und nationalistischer, sowie damit verbundener rassistischer Rückfälle, oberste Priorität.

 

Gegliederte Kooperation

Dabei, liebe Freundinnen und Freunde, geht es aus meiner Sicht nicht um eine bloße „Anwendung“ von Ideen Rudolf Steiners, sondern um die aktive Förderung der in der tatsächlichen Entwicklung von heute angelegten Tendenzen zur Differenzierung, Dezentralisierung und Pluralisierung des sozialen Organismus als Beziehungsgeflecht. Das ist das Zusammenwirken von Selbstbestimmung, Stärkung kooperativer Gemeinschaften in Wiederanbindung des Menschen an das kosmische Ganze – in aktiver Auseinandersetzung mit jeglichen Formen der Fremdbestimmung, des Nationalismus und einer entseelten Naturwissenschaft.  

Die weltpolitische Lage, das sei hier noch knapp skizziert, ist ein Abbild dieser sich gegenseitig durchdringen, bekämpfenden und ablösenden Kräfte. Schauen wir auf die niedergehende amerikanische Kultur, die unentschiedene europäische, die irgendwie gefesselt erscheinende deutsche, die aufsteigende chinesische demgegenüber, die Rolle Russlands als Wächter des eurasischen Raumes zwischen ihnen und die übrigen Mächte der Welt, die um diese Zentren herum Orientierung suchen, dann bleibt zum Schluss nur noch zu sagen: Jeder einzelne Mensch muss selbst herausfinden, wo er oder sie in diesem großen Geschehen zusammen mit anderen seinen oder ihren Platz findet. Weltwahrnehmung und Selbstwahrnehmung bedingen einander. Zu beidem werden wir im kommenden Jahr noch reichlich Gelegenheit finden. Scherzhaft gesagt: Ein Virus kommt selten allein. Aufgeben zählt nicht. Es gilt den Geist zu erkennen, aus dem auch ein Virus hervorgeht.

Ich wünsche Ihnen einen ein erkenntnisreiches, erfülltes und kreatives neues Jahr.

Herzlich, Kai Ehlers

(Für die, die sich genauer in die Frage nach Alternativen vertiefen möchten, gebe ich hier noch einen Hinweis auf einen per Video aufgenommenen Vortrag, den ich Ende des Jahres bei der Initiative „Kunstraum Rhein“ in Dornach halten konnte. Die Adresse  lautet:  https://kai-ehlers.de/2020/10/deformation-des-sozialen-aufforderung-zur-gegenseitigen-hilfe/)

Der Vortrag war geplant für den Zweig der anthroposophischen Gesellschaft Braunschweig.