Wahlen in Russland – ein Mandat wofür?

Russland hat gewählt. Die von Putin angeführte Partei erhielt mit 63,5% der abgegebenen Stimmen, bei 60% Walbeteiligung, die absolute Mehrheit. Aber was war das? Eine Wahl? Oder vielleicht eher ein Referendum wie die russische Tageszeitung „Wedemosti“ fragt? Verlief die Wahl korrekt oder war sie ein gigantischer Betrug?

Die Bewertungen gehen so weit auseinander wie Russland groß ist. KP-Chef Szuganow spricht von gigantischer Fälschung und will Protest organisieren; ebenso Gari Kasparaow und die Liberalen. Sie beklagen „flächendeckende“ Beeinflussung, massive Einschüchterung und offene Wahlfälschungen und wollen damit vor Gericht ziehen. Die Regierungen der USA, der EU, die deutsche Bundesregierung fordern „Aufklärung“ von der russischen Regierung über „Unregelmäßigkeiten“ bei der Wahl, die demokratischen Standards nicht entsprochen habe. Vertreter der Shanghai-Organisation, der GUS-Staaten dagegen erklären demonstrativ, die Wahlen seien ordnungsgemäß und den Gesetzen entsprechend verlaufen.

Aus der OSZE hört man widersprüchliche Signale: Einerseits wird die Vermischung von Staat und Parteien beklagt, die nicht zuletzt durch Putins Kandidatur an der Spitze von „Einheitliches Russland“ zustande gekommen sei; dadurch seien die Wahlen „ungerecht“ gewesen. Andererseits bestätigte der Vizepräsident der OSZE Kiljunen, in einem Interview in Radio Moskau, die Wahlen seien „normal“ verlaufen. Wenn einige Wähler außerhalb der Walkabine ihre Stimme abgegeben hätten, dann müsse man sehen, dass dies eine „alte Tradition bei russischen Bürgern“ sei. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Die Aufzählung ließe sich fortsetzen; wer nicht dabei war, kann nur staunen über die Vielfalt der unterschiedlichen Wahrnehmungen. Am Besten fährt man mit dem neuen polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, dem Parteilichkeit zugunsten Russlands kaum unterstellt werden kann: Er konstatiert, dass die Wahlen Putin gestärkt hätten „und unabhängig von unseren Einschränkungen, die die Wahlstandards angehen, ist das dennoch die Wahl der Russen. Ich sehe keinen Grund, warum wir sie in Zweifel ziehen sollten.“

In der Tat gibt es keinen Grund, diese Sicht in Zweifel zu ziehen: das Ergebnis der Wahl, wie man es auch dreht und wendet, ist ein eindeutiges Mandat für Wladimir Putin, der vor der Wahl erklärt hatte, einen Sieg der Partei „Einheitliches Russland“ werde er als moralische Berechtigung betrachten, im Staate weiterhin eine führende Funktion auszuüben.

Die Frage ist allein: Welche Funktion könnte das sein? Darüber wurde schon vor der Wahl heftig spekuliert, nachdem Putin klargestellt hatte, dass er keine dritte Amtszeit anstrebe. Auch jetzt wird weiter gerätselt. Wird er als Ministerpräsident antreten? Baut er sich auf dem Umweg über einen schwachen Präsidenten als Präsident in Spe auf? Wird er als Aufsichtsratsvorsitzender eines der großen russischen Monopole, Gazprom oder des geplanten Elektro-Energie-Verbundes einen ähnlichen Weg wie der deutsche Ex-Bundeskanzler Schröder gehen? Putin hat alle diese Optionen offen gehalten. Vor diesem Hintergrund ist die jetzige Dumawahl zwar ein Vertrauensbeweis für ihn, aber sie ist zugleich mehr als nur eine Abstimmung über ihn selbst – sie ist die Abstimmung über ein System, nämlich über das System der von Putin restaurierten traditionellen russischen Struktur des zentralisierten Pluralismus, anders gesagt, über die russische Form von Demokratie, die zur Zeit unter dem Stichwort der „gelenkten Demokratie“ in Russland entwickelt wird.

Gleich welchen Kandidaten Putin selbst als Nachfolger im Präsidentenamt vorschlagen wird, gleich in welcher Funktion er selbst die von ihm reklamierte Führerschaft wahrnehmen wollen wird, jede dieser Entscheidungen steht unter der Vorgabe, die traditionelle Grundordnung Russlands, die er in acht Jahren seiner Amtszeit ansatzweise wiederherstellen konnte, weiter zu festigen. Mit dieser Dumawahl bekommt sie den Charakter eines Volksentscheides.

Die Kernfrage dabei ist nicht, ob und von wo aus Putin selbst diese Ordnung weiter vertritt, sondern in wessen Interesse sie zukünftig entwickelt wird. Putin hat es auf seinem Kurs der restaurativen Stabilisierung geschafft, die Herstellung optimaler Investitionsbedingungen für internationales und einheimisches Kapital mit einer sozialen Befriedungspolitik zu verbinden. Dabei halfen ihm die steigenden Ölpreise und eine Bevölkerung, die nach dem Absturz in der Jelzin Zeit für jede kleine Verbesserung des Lebensniveaus dankbar war. Jeder Nachfolger Putins wird sich daran messen lassen müssen.

Darüber hinaus steht nach der Wahl die Umsetzung all der schon beschlossenen, „Projekte“ der weiteren „Monetarisierung“ nach den Standards der WTO an, die nach den Massenprotesten von 2005 bis zur Wahl bisher zurückgestellt wurden. Dies dürfte auch ein Grund sein, warum sich die 63,5% Zustimmung für Putins Partei nur aus einer Beteiligung von 60 Prozent der russischen Wahlberechtigten herleiten. Der Rest, fest die Hälfte der Bevölkerung, wartet ab, was da kommt.

Kai Ehlers
www.Kai-ehlers.de

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