13. Jahrhundert
Kampf um die Mitte
Zwischen Attilas Kindern und Tschingis Chan
Umfeld des Projektes:
Das 13. Jahrhundert ist eine Zeitenwende. Der Muslimische Kulturraum verlor seine Bedeutung, der christlich abendländische stieg auf. Anders gesagt, die Mitte der Welt verlagerte sich an den westlichen Rand Eurasiens, von wo aus danach die ganze Welt kolonisiert wurde: Europa wurde zum neuen Mittelpunkt der Welt – die alte Mitte versank als eigenständige Größe in Vergessenheit, blieb in der Entwicklung zurück.
Zweifellos gibt es innere Gründe für den Zusammenbruch des muslimischen Kalifats, die nicht zuletzt in seiner kollektivistischen gottesstaatlichen Verfassung mit dem Glaubensgehorsam als Prinzip und einem überdehnten Einheitsanspruch gesucht werden müssen, so wie es für die Entwicklung des christlich-abendländischen Europa ebenso innere Gründe gibt. Genannt werden muss vor allem die befreiende Kraft der persönlichen Suche des Christen nach Gott und die daraus resultierende (und mit dem 13. Jahrhundert wieder entdeckte) Trennung von Welt und Gott.
Im Zentrum des 13. Jahrhunderts, aus der Tiefe des asiatischen Raumes kam jedoch noch eine andere Kraft, die – sagen wir der Einfachheit halber zunächst beschleunigend – auf diese Bedingungen und Entwicklungen einwirkte: die Expansion der Reitervölker aus dem Inneren Asiens, nach Osten wie auch nach Westen. Die Eroberungen nach Osten sind gegen Mitte des 13. Jahrhunderts abgeschlossen; 1260 wird Kublai Chan Kaiser von ganz China. Im Westen dringen die Invasoren bis Schlesien vor, wo sie bei Liegnitz 1241 die vereinigten Ritterheere des damaligen westlichen Europa vernichtend schlagen. Nach dem Sieg ziehen sie sich jedoch zurück. Im Südwesten zerschlagen sie 1248 (1258?) das Kalifat der Abassiden mit der Zerstörung Badgads. Damit ist das Ende des ersten muslimischen Kulturraums besiegelt, während Europa sich herausbilden kann.
Hinzu kommt die Kreuzzugspolitik des päpstlichen Rom und der westlichen Fürsten und Städte, die mit den Mongolen ein Bündnis gegen das muslimische Kalifat suchten und fanden. Die Eroberung von Byzanz durch die christlichen Kreuzfahren 1004 verlagert den Schwerpunkt innerhalb der christlichen Welt zudem nach Westen und fixiert die Spaltung der Christenheit in West- und Ost-Kirche.
In der gängigen Geschichtsschreibung des 13. Jahrhunderts, sogar der, die sich selbst gegenüber anderen einfachen eurozentristischen Varianten schon als kritische versteht, gilt „Russland“ allgemein als „Retter Europas“. Indem es den Hauptsturm der Mongolen/Tataren nach Westen aufgehalten habe, habe sich Europa hinter diesem Schild herausbilden können.
Tatsächlich hat sich etwas ganz anderes ereignet: Nicht die russischen Fürstentümer waren das „Bollwerk“ gegen die nomadischen Invasoren Tschingis Chans und seiner unmittelbaren Nachfolger – sondern die Nachkommen der hunnischen Nomaden, die nach dem Rückzug Attilas in Mittelrussland sesshaft geworden waren: Die Bewohner des islamisch geprägten Großbolgarien. Sie waren es, die im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts den ersten und den zweiten Stoß der Invasoren auffingen – und mit der Vernichtung ihres Reiches und ihrer Kultur bezahlten. Erst nach der langwierigen Niederwerfung des bolgarischen Widerstandes konnten die Mongolen/Tataren bis nach Liegnitz und bis Badgad vordringen.
In der Konfrontation zwischen den nomadischen Horden Tschingis Chans/Batus und den sesshaft gewordenen Nachkommen Attilas fanden die entscheidenden Kämpfe statt, die zum Untergang der damaligen Mitte der Welt und (nach dem Rückzug der Mongolen/Tataren bei Liegnitz) dem Aufstieg Europas zur neuen Mitte führten.
Vor dem Hintergrund dieser Geschichte soll das „Projekt 13“ der der Frage nachgehen, was sich im Zusammenstoß zwischen den Kindern Tschingis Chans und Attilas Kindern im Herzen Eurasiens ereignet hat – sie kämpften schließlich noch mit denselben Bögen, in denselben Kriegstaktiken, aber sie kämpften für Ziele, die sich um Jahrhunderte voneinander unterschieden, statt miteinander erneut gegen den Westen zu ziehen. Was wurde von den Bolgaren und ihren Verbündeten verteidigt? Nur das nackte Leben? Nur das bolgarische Imperium? Eine Kultur? Welche? Das sind die Fragen.
Das konkrete Projekt
Das „Projekt 13“ soll sich daher dem Zusammenstoß zwischen den Nachfahren Attilas als ehemalige, sesshaft gewordene Nomaden und den Truppen und Kindern Tschingis Chans als erneuerte nomadischer Invasionswelle widmen, der sich über ein oder zwei Generationen erstreckte.
Konkret geht bei den Untersuchungen zunächst um Gespräche mit Mischi Juchma, dem tschuwaschischen Geschichts-, Myhten- Legendenforscherforscher, Schriftsteller und Lewiter des tschuwaschischen Kulturzentrums der die Geschichte des Kampfes um die Mitte sein leben lang erforscht und aufgezeichnet hat.
Möglich ist es, das sich die Gespräche auf die Figuren des Fürsten Ultenpyk, eine zentrale Gestalt dieser Kämpfe auf bolgarischer Seite, evtl. auch auf den Feldherren Markka, eine mythische Gestalt, zu dem es in der Verarbeitung der Attila-Zeit offenbar auch eine Grals-Legende gibt, konzentrieren werden.
Ein zweiter Ansatz zur Aufklärung dieser Zeit wird sich möglicherweise von Ulaanbaatar aus, bzw. von der Erforschung der mongolischen Geschichte aus angehen lassen, wo es vermutlich auch von mongolisch-tatarischer Seite aus Legendenbildungen, u.a. zur Entstehung des mongolisch-tatarischen Großreiches geben wird, das Westen und Osten erstmals in ganzer Breite verband. Diese möglicherweise vorhandenen Legenden sind uns bis heute allerdings weitgehend unbekannt.
Beide Ansätze werde ich selbst in diesem Jahr vor Ort erkunden, einmal von Tscheboksary, zum anderen von Ulaanbaatar aus, und in Kooperation mit Christoph Sträßner und anderen Interessierten entsprechende Untersuchungansätze aufbauen.
Möglich sind drei Ansätze, die sich ggflls. auch miteinander verbinden (evtl. auch durch Aspekte von der mongolischen Seite her bereichert werden) können.
• Gespräche mit Juchma zu den Konfrontationen zwischen Bolgaren(Tschuwaschen) und Tatar-Mongolen im 13. Jahrhundert. Dabei soll die Frage im Zentrum stehen, w a s von den Bolgaren (nachfahren der Hunnen) gegen die Tataren/Mongolen verteidigt wurde und warum sie ihre „nomadischen Brüder“ stattdessen nicht willkommen geheißen haben, um mit ihnen gemeinsam gegen den Westen zu ziehen.
• Das Epos von Ultenbyk, dem letzten Fürsten der Bolgaren.
• Die Gralssage um den Feldherren Markka, die Lichtgestalt der Bolgaren, den Retter der Nachfahren Attilas.
P.S.
Dieses Projekt entsteht in der Fortsetzung der Veröffentlichung des Epos „Attil und Krimkilte“, das im April 2011 in einer deutschen Übersetzung mit Kommentaren zur Bedeutung Attilas als Zertrümmerer Roms und als Vorfahr der Bolgar-Tschuwaschen erschien.
Attil und Krimkilte – die Nibelungensage aus östlicher Sicht
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