Georgien – Aus der Nähe betrachtet

Georgische Geschichte ist untrennbar mit der russischen verbunden. Russen und Georgier haben nicht nur jüngst aufeinander geschossen, sie streiten auch darum, wer wem im Laufe der Geschichte mehr zu verdanken hat und wer wen jetzt verraten habe. Russen streiten sogar mit Russen und Geogier mit Georgiern um diese Frage.  Gute oder auch schlechte Gründe gibt es auf beiden Seiten: Die einen weisen darauf hin, dass Russland Georgien vor dem Untergang als Nation bewahrt und zur kulturellen Blüte gebracht habe.  Die anderen erklären, der Zarismus, danach die Sowjetunion hätten Georgien zum Vasallen erniedrigt und unterdrückt; Russlands Vorgehen im Krieg um Südossetien sei nichts anderes als der Versuch, diese mit der Auflösung der Sowjetunion beendete Situation wiederherzustellen.
Wer diese Auseinandersetzung verstehen will, muss weit in die Geschichte des Kaukasus zurückgreifen: Der Kaukasus ist von Alters her Durchgangsraum der Völker zwischen Asien und Europa, ebenso zwischen der eurasischen und der afrikanischen Landmasse. Teils friedlich, teils im Krieg vermischten die Völker sich miteinander. Am „Berg der Sprachen“ werden im Kaukasus heute, je nach Zählweise nicht weniger als 40 – 60 Sprachen gesprochen, manchmal in einem Dorf mehrere nebeneinander. Zugleich ist der Kaukasus auch das „wilde Land“. Von 76 Territorial- und Nationalitätenkonflikten, die der Auflösung der Sowjetunion 1990 folgten, betrafen mehr als zwei Drittel den Kaukasus. Im Zentrum dieser Konflikte steht heute Georgien.
Unter den staatenbildenden Völkern des Kaukasus blickt Georgien, heute ein Gebiet von der Größe Schleswig-Holsteins mit einer Bevölkerung von ca. 4,5 Millionen Menschen, auf die längste Geschichte zurück. In vorchristlicher Zeit, so die georgische Geschichtsschreibung , bildete der Kaukasus einen einheitlichen Kulturraum. Im sechsten Jahrhundert entwickelten sich darin zwei georgische Königreiche als herrschende Mächte, Kolchis und Iberia. Mit Schmiedehandwerk, besonders einer hochstehenden Goldschmiedekunst, mit Wein, Getreideanbau, Imkerei, Rinderhaltung, Leinenproduktion waren Kolchis und Iberia wirtschaftlich hoch entwickelt. Sie standen in Verbindung mit den griechischen Kolonien an der Nordküste des Schwarzen Meeres. Für die Griechen wurde der Kaukasus so wichtig, dass sie ihn in ihren „mythischen Kosmos“ mit einbezogen. Den König Aietes der Argonautensage siedelten sie in Kolchis an; Prometheus sahen sie an einen Felsen im Kaukasus geschmiedet.
Im vierten Jahrhundert drang das Christentum in Kolchis und Iberia ein, gut 500 Jahre bevor es Russland erreichte. In den Jahrhunderten danach hatte das frühe Georgien wechselnde Angriffe der Römer, Perser, Byzantiner, Araber und Türken auszuhalten, die das Land immer aufs Neue verwüsteten. Im elften Jahrhundert gelang es georgischen Fürsten, das Land von türkischer, im zwölften dann auch von arabischer Vorherrschaft zu befreien. Unter dem König David IV. und der Königin Tamara Ende des 12. Jahrhunderts wurde Georgien zur beherrschenden Macht des kaukasischen Raumes zwischen Schwarzem und kaspischem Meer. Diese Hochblüte georgischer Kultur endete mit dem Sturm der Mongolen im 13. Jahrhundert, deren Herrschaft bis ins 14. Jahrhundert anhielt. Danach drangen Perser und Osmanen in Georgien ein, später noch einmal die Mongolen unter Timur Leng. Die ständigen Abwehrkämpfe brachten die georgische Kultur an den Rand des Unterganges. Das georgische Königreich zerfiel für Jahrhunderte in Kleinfürstentümer, Ethnien, Dörfer und Clans. Was das bedeutete, kann daran ermessen werden, dass noch im heutigen Georgien 26 Volksgruppen 23 verschiedene Sprachen sprechen.
Unter diesen Bedingungen, so kann man den georgischen Quellen übereinstimmend entnehmen , wandte Erekle II, König von Karti-Kacheti (Ostgeorgien) sich an Russland, das seit 1779 militärisch in den Kaukasus expandierte, um mit ihm einen Schutzvertrag abzuschließen. 1783 kam es zum „Georgiewsker Vertrag“. Georgien verpflichtete sich darin, keine Beziehungen zu islamischen Ländern zu unterhalten und erkannte die Oberhoheit und den Schutz des russischen Zaren an. Die Innenpolitik Georgiens sollte Angelegenheit des georgischen Königs bleiben. Russland stellte zwei Bataillone zum Schutz Georgiens zur Verfügung, verpflichtete sich aber, die territoriale Integrität Georgiens zu achten.
Mit der  Gründung der Festung Wladikawkas (Beherrsche den Kaukasus) 1784 wurde jedoch deutlich, dass Russland, das seit 1799 dabei war die kaukasischen Bergvölker zu unterwerfen, weitergehende Absichten für den Kaukasus hatte. Als die Perser 1795 erneut Georgien angriffen, blieb die russische Hilfe für das georgische Land aus. 1801 schickte Russland jedoch Truppen über den Kaukasus, setzte den georgischen König unter Bruch des Vertrages von 1783 ab und annektierte Ostgeorgien.  Im einem Manifest erklärte der russische Zar Alexander I. 1801, dass die Eingliederung Georgiens ins russische Reich “nicht zum Wachstum unserer Macht, nicht aus Habgier, nicht um die Grenzen des ohnehin schon größten Reiches der Welt auszudehnen“ erfolgt sei, sondern weil Russland die „Last des georgischen Zarentums“ auf sich genommen habe.
Von diesem Zeitpunkt an war Georgien Bestandteil des Zarenreiches, danach der Sowjetunion, nur unterbrochen durch eine kurze Periode der Unabhängigkeit nach der Revolution von 1917, nachdem  Georgien sich am 26. Mai 1918 zur unabhängigen Republik erklärt hatte. Am 25. Februar 2001 wurde es nach einem Sieg der Roten Armee über die menschewistischen Georgischen Truppen in die Sowjetunion eingegliedert, aus der es sich erst mit deren Zerfall 1991 löste. Das sind fast zweihundert Jahre gemeinsamer russisch-georgischer Geschichte. In ihr verhalten sich das kleine Georgien und das große Russland zueinander wie innere und äußere Matrioschka, die berühmte Puppe in der Puppe  – eigenständige Figuren, aber identisch in ihrer Lage zwischen Asien und Europa, identisch in ihrer Völkervielfalt, identisch in ihrer staatlichen Grundstruktur, die sich in der Polarität von Zentralstaat und Pluralität, ja, clanweise organisierten Anarchie bewegt, identisch in der patriarchalen Einheit von christlicher Kirche und Staat, später Partei, identisch in ihrer Sozialstruktur, in der das eigene Dorf, der eigene Clan, nicht der Staat die Lebenssicherheit bietet. Selbst das Phänomen einer „zweiten Ökonomie“ die berüchtigte realsozialistische Schattenwirtschaft, ist beiden aus einer grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber einem säkularen profit- und effektivitätsorientiertem Denken gemeinsam; in der Sowjetunion übernahm Georgien dafür sogar die führende Rolle.  Nur kleinräumiger ist dies alles in Georgien, konzentrierter, extremer, immer auf Selbstbehauptung des nationalen Zentrums gegen äußere Angriffe und innere Zersplitterung orientiert. Es fehlt die Relativierung, die Russlands Autokratie, selbst der Stalinismus immer wieder durch die eurasische Weite erfuhr.  Georgien ist, so könnte man sagen, ein Konzentrat Russlands! Identifizierung und Abstoßung wechseln sich ab.
Politisch hat Georgien die russische, danach die sowjetische Herrschaft über den Kaukasus trotz der beständigen Träume der Georgier von eigener nationaler Selbstbestimmung stabilisiert. Man erinnere sich: Es war Georgien, das Stalin hervorbringen konnte. Er begann seine Laufbahn als Priesterschüler Iossev Bessarionisdse Dschughaschwili in Georgien. Auch sein Geheimdienstchef Berija kam aus Georgien. Er wurde als Sohn einer mingrelischen Bauernfamilie bei Suchumi in Abchasien geboren und begann seine Karrriere bei der georgischen Tscheka.  In der Politik dieser beiden flossen die Tradition der russischen Selbstherrschaft und georgisches Herrschaftswissen, das sich in der Auseinandersetzung mit der Völkervielfalt des Kaukasus herausgebildet hatten, zu einem autoritären Zentralismus zusammen.
Die Kämpfe um Abchasien und Südossetien stehen exemplarisch für diese Erfahrungen. Beide Völker wehrten sich schon in vorzaristischer Zeit gegen georgische Herrschaftsansprüche. Im 8. Jahrhundert bildete sich im heutigen Westgeorgien ein abchasisches Königreich; 929 wurde es vom georgischen geschluckt. Als das georgische Königreich Ende des 15. Jahrhunderts zerfiel, wurde Abchasien erneut ein selbstständiger Staat.  Mit dem „Georgiewsker Vertrag“ kamen beide unter den Einfluss der russischen Zaren. 1918 wurde ein bolschewistischer Aufstand in Abchasien von Georgischen Menschewiki niedergeschlagen; 1921, nachdem die Rote Armee die georgischen Menschewiki besiegt hatte, wurden Georgien und Abchasien Bestandteil der Sowjetunion. Beide erhielten den Status einer Sozialistischen Sowjetrepublik, waren einander also gleichgestellt. 1931 wurde Abchasien zu einer autonomen Republik innerhalb der georgischen SSR zurückgestuft.
Osseten und Georgier liegen ebenfalls seit Jahrhunderten im Konflikt miteinander. Die Osseten, die sich erst im 18. Jahrhundert dort ansiedelten, wo sie jetzt leben, werden von den Georgiern als Einwanderer betrachtet. Die „Neuankömmlinge“ wurden wiederholt zwischen Russland und Georgien hin und her geschoben; als Georgien sich 1918 zur Republik erklärte, wurde Ossetien in Nord- und Südossetien geteilt. Aufstände zur Vereinigung Südossetiens mit dem Norden in den Jahren 1918 – 1920 wurden von Georgien niedergeschlagen. Die Kämpfe kosteten mindestens 5000 Tote, 20.000 Südosseten flohen nach Nordssetien (bei damals ca. 100.000 Einwohnern Südossetien, davon 65.000 Osseten). Nach Eingliederung Georgiens in die UdSSR 1922 wurde Südossetien zum autonomen Gebiet innerhalb der georgischen SSR erklärt, Nordossetien verblieb in der UdSSR, bekam dort 1936 den Status einer autonomen Republik.
Das Ende der Sowjetunion ließ alle diese alten Konflikte aufbrechen und rückte eine Neuordnung des Kaukasus auf die Tagesordnung. Es begann mit Demonstrationen für eine abchasische Unabhängigkeit in Tiblissi 1989; sie wurden von der Roten Armee niedergeschlagen; 19 Menschen kamen ums Leben. 1989/90 bildete sich auch in Südossetien eine nationale Bewegung, Georgien erklärte daraufhin Georgisch, Ossetien im Gegenzug Ossetisch zur Amtssprache.   Im März 1991 deklarierte Georgien seine Unabhängigkeit. Der neue Präsident Georgiens, Gamsachurdija erhob – ohne dass darüber völkerrechtlich entschieden worden wäre – Anspruch auf Eingliederung Abchasiens und Südossetiens in das georgische Staatsgebiet und ließ einmarschieren. Im Krieg zwischen georgischen und abchasischen Milizen um die Autonomie Abchasiens kamen 1990/1 mindestens  8000 Menschen zu Tode; fast die Hälfte der Einwohner (meist Georgier, etwa 250 000) floh aus Abchasien.
1992 wurde Gamsachurdija gestürzt. Sein Nachfolger Schewardnaze, vormals sowjetischer Außenminister unter Gorbatschow,  versprach eine gemäßigtere Politik in der „Nationalitätenfrage“. Trotzdem marschierten georgische Truppen in Abchasien ein. Im Verlauf des Jahres 1993 wurden sie von abchasischen Truppen zurückgeworfen. Russland erkannte zwar Georgiens Souveränität an, unterstützte dennoch die Abchasischen Truppen.
Nicht viel besser ging es in Ossetien zu: Am 20. September 1990 erklärte Ossetien sich für souverän, ein blutiger georgisch-südossetischer Krieg folgte. 1991 drangen georgische Milizen auf südossetisches Gebiet vor, zerstörten hundert Dörfer und belagerten Zchinvali. Moskau griff nur zögerlich ein. Unterstützung bekam Süd-Ossetien von Freiwilligen einer zuvor entstandenen „Konföderation der Bergvölker Kaukasiens“. Im Mai 1992 erklärte die Republik Südossetien endgültig ihre Unabhängigkeit. Erneut folgten schwere Kämpfe, in deren Folge Zchinvali erstmals zerstört wurde.
Nach dem Sturz Gamsachurdias kam ein erstes Friedensabkommen zustande, das zwischen Schewardnaze und Boris Jelzin ausgehandelt wurde. Es sah eine gemeinsame Friedenstruppe von 1500 Mann vor, die zu gleichen Teilen aus Russen, Georgiern, Süd- und Nord-Osseten bestand. Sie sollten in einem 15 km breiten neutralen Streifen rund um das südossetische Gebiet Ruhe und Ordnung aufrechterhalten. Als Zeichen des Goodwills räumte Schewardnaze den Russen darüber hinaus den Bau von vier Stützpunkten ein, veranlasste den Eintritt Georgiens in die GUS und dessen Teilnahme am Taschkenter Bündnis, das 1992 zwischen den Staaten der GUS „zur Schaffung eines einheitlichen Verteidigungsraumes“ abgeschlossen worden war.
Eine Kommission der OSZE, KSZE überwachte, von Minsk ausgehend, die Vereinbarungen Georgiens mit Abchasien und Südossetien. Sie entwarf mehrfach Friedenspläne, die aber immer wieder auf Eis gelegt wurden; die Konflikte froren auf dem Stand einer De-facto-Existenz Abchasiens und Südossetiens ein. Eine internationale Anerkennung kam – wie auch zu Berg Karabach und der Djnesterrepublik – nicht zustande.
In der „Rosenrevolution“ 2003, die Schewardnaze stürzte, kam Michail Saakaschwili mit der erklärten Absicht an die Macht, Abchasien und Südossetien wieder unter „volle Kontrolle“ des georgischen Staatsgebietes bringen zu wollen. Die Beziehungen blieben zunächst noch entspannt. Saakaschwili stand sogar zur Mitgliedschaft in der GUS und hielt ausdrückliche Distanz zur NATO.
Im Mai 2004 jedoch, nach der Wiederwahl des ossetischen Präsidenten Eduard Kokoitys, der Saakaschwilis Eingliederungsabsichten mit nationalen Tönen beantwortet hatte, sperrten georgische Truppen die Grenze zu Südossetien und richteten Kontrollpunkte entlang der südkaukasischen  Fernstraße ein. Sie schlossen den Ergneti-Markt, Südossetiens wichtigste Einnahmequelle. Truppen wurden an der Pufferzone stationiert. Als Russland daraufhin zusätzliche Kräfte in die Region transportierte, brachen erneut Kämpfe aus.
Am 13. August 2004 wurde der Waffenstillstand erneuert. Seine Einhaltung wurde ab 2005 von der KSZE mit acht Militärbeobachtern kontrolliert. Seit 2006 jedoch häuften sich die Konflikte. Saakaschwili erklärte wiederholt, dass er auch militärisch die Einheit Georgiens wiederherstellen werde, wenn Südossetien sein Angebot eines Autonomiestatus nicht annehmen werde. Zchinvali lehnte dieses Angebot mit Hinweis auf seine faktische Selbstständigkeit ab.
Auch die Friedenstruppe wurde Gegenstand der Auseinandersetzung: Saakaschwili warf Russland vor, in der Friedenstruppe durch Unterstützung der Südosseten zweifach, zusammen mit dem nordossetischen Kontingent sogar dreifach vertreten zu sein. Er wertete das als Besetzung Georgiens durch russische Truppen. Zudem forderte er den Rückzug Russlands aus den von Schewardnaze 2004 zugestandenen Stützpunkten. Im Juli 2006 verlangte das georgische Parlament, die Friedenstruppen, vor ihren russischen Teil durch eine internationale Polizeitruppe zu ersetzen. Seit 2007 baute Georgien, gefördert von den USA und der NATO, ca. 20 km. von Zchinwali entfernt bei der Stadt Gori eine Militärbasis auf. Die Ausgaben für den Militärapparat hatten sich zu diesem Zeitpunkt von 0,5% des georgischen Bruttosozialproduktes im Jahr 2003 um das Sechsfache auf 3% im Jahr 2007 erhöht.
Politische Provokationen Saakaschwilis gegen Russland begleiteten diesen Kurs: so die offene Unterstützung der „orangenen Revolution“ in der Ukraine,  so die wiederholten Ankündigungen Saakaschwilis, dass Georgien die GUS verlassen, dafür in die NATO eintreten wolle, nicht zuletzt die offene Finanzierung dieses Kurses durch die USA: Nach Angaben des Statedepartments erhielt Georgien seit 2002 820 Millionen US-Dollar an Hilfe. Damit war Georgien der drittgrößte Empfänger von US-Hilfe per pro Kopf nach Irak und Armenien und noch vor Afghanistan.
Am    23. Mai 2005 konstituierte sich schließlich, ebenfalls gefördert von den USA, die GUAM (bei ihrer Gründung GUUAM genannt nach den Mitgliedstaaten Georgien, Usbekistan, Ukraine, Aserbeidschan und Moldawien) unter Hinzutreten von Litauen und Rumänien neu als prowestlich orientiertes Konkurrenzbündnis zur GUS, nachdem Usbekistan und Aserbeidschan vorher ausgetreten waren.
Eine Zuspitzung der Konflikte trat ein, als am 27. September 2007 vier russische Offiziere in Georgien wegen Spionage verhaftet und öffentlich vorgeführt wurden. Russland antwortete mit nahezu totaler Wirtschaftsblockade Georgiens. Trotz westlicher Hilfe kam Saakaschwili auf diese Weise in einen immer stärkeren Zugzwang: Sein Wahlversprechen auf Herstellung territorialer Einheit konnte er nicht einlösen; die Wirtschaft zeigte zwar Zuwachs, der aber an der Mehrheit der Bevölkerung auf Grund von Korruption und Clanwirtschaft vorbeiging. Politische Morde und rätselhafte Todesfälle trübten das Bild der rosenfarbenen Revolution. „Der Regierungschef Surab Schwania, Vertreter der armenisch-jüdischen Minderheit, wurde im Februar 2005 vermutlich ermordet. Der in Ungnade gefallene Verteidigungsminister Irakkli Okruaschwili sucht seit Ende 2007 in Westeuropa nach politischem Asyl. Der Medienmogul Otar Patarkazischwili verstarb unter mysteriösen Umständen Anfang 2008 in seiner Villa in London.“
Anfang November 2007 kam es zu Massenprotesten in Tiblissi, die Opposition forderte den Rücktritt Saakaschwilis. Er ließ die Demonstrationen zusammenknüppeln und einen oppositionellen Fernsehsender schließen. In den vorgezogenen Wahlen am 5. Januar 2008  stürzte er auf 53% der Stimmen ab.

Wer dies alles vor Augen hat, wird verstehen, warum Saakaschwili in der Nacht vom 7. auf den 8. 8. 2008 sein Heil schließlich in einer militärischen Flucht nach vorne suchte. Bleibt dennoch festzustellen, dass Russland in seiner Rolle als Friedensmacht selbstverständlich nicht ohne Widerspruch dasteht. Russlands primäres Interesse nach dem Zerfall der Union 1990 bestand zunächst darin, die eigene Staatlichkeit vor weiterem Zerfall zu bewahren. Folge war der Krieg in Tschetschenien und der Versuch, die Konflikte im Süden nicht eskalieren zu lassen. Solange Russland durch den Krieg in Tschetschenien geschwächt war, war das „Einfrieren“ der Konflikte aus russischer Sicht strategisch nützlich. Es half Russland Gewaltausbrüche an seinen südlichen Grenzen zu verhindern und zugleich differenzierten innenpolitischen Einfluss auf die beteiligten Konfliktparteien im Kaukasus ausüben. Eine „Gemeinschaft der nicht anerkannten Staaten“ bildete sich; auch das stärkte Russlands Einfluss. Konfliktträchtig war die Tatsache, dass die russischen Friedenstruppen zugleich Konfliktpartei waren. Sie partizipierten zudem mit illegalen Waffenverkäufen an der Halblegalität. Als Folge offener Grenzen zu Russland und georgischer Sanktionen wurden die Gebiete in den russischen Wirtschaftsraum eingesogen. Hinzu kam die Ausgabe russischer Pässe an Bewohner Abchasiens und auch Südossetiens seit 2002, außerdem die Auszahlung Renten durch den russischen Staat, die über dem georgischen Niveau liegen.
Es entstand, so Stephan Bernhardt im Eurasischen Magazin  in seiner Analyse weit vor der offenen Eskalation, eine „schleichende Annexion“ der Schutzgebiete durch Russland. Nach der Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo durch die USA, Großbritannien und einige EU-Staaten im März 2008 gab Wladimir Putin den russischen Behörden zudem die Anweisung  quasi-staatliche Beziehungen mit Abchasien und Südossetien aufzunehmen. Im Mai verstärkte Russland seine Truppen in Abchasien; im Juni 500 schickte es Fallschirmjäger nach Ossetien; im Sommer 2008 noch einmal 400 Mann zur Reparatur einer Bahnstrecke in Abchasien geordert. Am 15. 7. 2008 führte Russland ein Manöver „Kaukasus 2008“ an der Grenze zu Georgien durch. Kurz, es ist offensichtlich, dass Russland mit einem möglichen Vorstoß Saakaschwilis rechnete. Noch in den letzten Wochen vor dem Krieg gab es allerdings Versuche von russischer Seite, die Konflikte auf dem Verhandlungswege zu lösen. Selbst der Abschuss einer Drohne über Abchasischem Gebiet wurde von Russland öffentlich gemacht, um Saakaschwilis Mobilisierung zu stoppen. Saakaschwilis Erklärung, er habe einem russischen Angriff zuvorkommen müssen, entbehrt daher jeglicher Realität. Sie wird  selbst von seinen eigenen Militärs als Unwahrheit bezeichnet.  Ob mit dem russischen Gegenschlag die „Verhältnismäßigkeit“ überschritten und ob mit der anschließenden Anerkennung Abchasiens und Ossetiens das Völkerrecht verletzt wurde, ist eine andere Frage, die allerdings genauer Klärung bedarf.
Vom Völkerrecht, argumentieren selbst russlandkritische westliche Autoren –  wenn man denn in Bezug auf Krieg überhaupt völkerrechtlich argumentieren will – seien auch De-facto-Staaten, als die Abchasien und Ossetien nun einmal gelten müssten –  zweifellos geschützt, und zwar im doppelten Sinne: Einerseits gegen Aggressionen von außen, andererseits könne ein solcher Staat sich Hilfe zum Selbstschutz von außen herbeirufen. Völkerrechtlich sei Russland auch zum Angriff berechtigt gewesen, weil die Friedenstruppen unter Bruch geltender Verträge von Georgien angegriffen und russische Soldaten dabei getötet worden seien. Auch Russlands Angriff auf Nachschubstellungen des georgischen Militärs sei gedeckt, soweit von ihnen Angriffe ausgegangen und weiter zu erwarten gewesen seien. Wie weit dabei die Verhältnismäßigkeit überschritten worden sei, sei eine Ermessensfrage, deren Beantwortung notwendig nach Einschätzung der Lage schwanke. Als problematisch dagegen gilt Russlands Begründung auch bei diesem offenen Verständnis des Völkerrechtes, Russland habe russische Staatsbürger schützen müssen, die im Besitz russischer Pässe gewesen seien.

Bei diesen Feststellungen könnte man es bewenden lassen. Es gibt da noch vieles in den zukünftigen Beziehungen zwischen Russland, Georgien, Achchasien und Ossetien zu klären. Ebenso in den anderen noch nicht gelösten „eingefrorenen Konflikten“ um die armenische Enclave Berg-Karabach in Azerbeidschan, um die von Moldau abgespaltene Dnjester-Republik. Die Zukunft wird es zeigen. Darüber hinaus gibt es jedoch einige Elemente in der Eskalationsgeschichte dieses Konfliktes, die noch einer weiteren Ausleuchtung bedürfen:
Da ist zuallererst die Tatsache, dass Georgien parallel zum russischen Manöver „Kaukasus 2008“ auf georgischem Territorium ein Manöver zusammen mit der NATO durchführte. Man könnte also meinen, dass auch die NATO vorbereitet war. Bemerkenswert ist weiterhin, dass zwei der über Abchasien und Ossetien im Vorfeld des Krieges abgeschossenen Drohnen Fabrikate israelischer Bauart (Elbit Hermes 450) waren, offenbar also nicht nur die USA, sondern auch Israel am Aufbau der georgischen „Sicherheitskräfte“ beteiligt war. Festzuhalten ist auch, dass die USA nicht nur bereit, sondern auch in der Lage waren, die 2000 Mann zählende georgische Hilfstruppe aus dem IRAK umgehend zur Unterstützung des georgischen Militärs nach Georgien einzufliegen.
Zu erinnern ist weiterhin an die NATO-Tagung in Bukarest, auf der Georgien und der Ukraine angesichts erkennbar gespannter Entwicklung der Lage im Kaukasus eine Beitrittsperspektive zur NATO zugebilligt wurde. Nur gestreift werden sollen hier schließlich die Kampfansagen aus den Tiefen des US-Wahlkampfes, in denen Russland vom Berater McCains, Randy Scheunemann, wieder unter die Schurkenstaaten eingereiht wurde.
Hinter der örtlichen Zuspitzung der Widersprüche taucht die große „stategische Ellipse“ auf, die NATO, EU und US-Planer immer wieder beschwören, wenn es um die globale „Energiesicherheit“ geht. Die „strategische Ellipse“ umfasst vom Süden her die arabischen Staaten und den Iran, von dort erstreckt sie sich über das schwarze Meer, den Kaukasus und das kaspische Meer bis in den mittleren Norden Russlands. Sie enthält 80% aller heute bekannten fossilen Ressourcen. Ihr südlicher Teil – Arabien und der Iran – ist vergeben, ihr nördlicher Teil ist Gegenstand der heutigen strategischen Auseinandersetzungen.
Seit 1990 wirken USA und EU gemeinsam an der Herstellung eines sog. Transportkorridores, der von West nach Ost am Bauch Russlands entlangführt.  Durch ihn soll Öl und Gas unter Umgehung russischer Beteiligung fließen. Die Pipelines, die dafür gebraucht werden, müssen und können nur  – sollen sie russisches Gebiet oder mit Russland befreundete Länder wie den Iran und Armenien umgehen – durch Georgien führen. Das ist die von den USA finanzierte Pipeline von Baku über Tiblissi nach Ceyhan an der türkischen Mittelmeerküste, nach den Transitstädten BTC-Pipeline genannt, sowie daran angeschlossen das EU-Projekt der Nabuco-Gaspipeline von Baku über Tiblissi, Ankara direkt nach Südeuropa. Diese Planung hat Georgien zum unverzichtbaren Transitland auf dem Schachbrett des „großen Spiels“ gemacht, von dem Sbigniew Brzezinksi , seinerzeit Sicherheitsberater Clintons, heut einer der Hintermänner Obamas, bereits 1997 sprach: Er nannte den Kaukasus das „Filetstück“ des „eurasischen Balkans“, auf den die USA sich den Zugriff als Weltmacht sichern müssten, indem sie verhindern das eine der dort beteiligten Kräfte sich auf Kosten anderer wieder zur Vormacht entwickeln könnte.  Für die USA sind Geogier, Abchasen und Osseten Bauern in diesem Spiel; für Russland sind sie Nachbarn; mit denen es seit Jahrhunderten gelebt hat und in Zukunft leben muss.

Kai Ehlers,
www.kai-ehlers.de

Aus persönlichem Briefwechsel im Herbst 2008
Dmitri Rogosin, ständiger Vertreter Russlands bei der NATO in der FAZ vom 20.08.2008: „,Russland hat die Georgier immer für Brüder gehalten …Aber niemand erinnert sich daran, dass es eigentlich Russland war, das eine lange Zeit die Unabhängigkeit und Integrität des georgischen Landes gewährleistete. Niemand erinnert sich auch daran, dass die Georgier seit dem 15. Jahrhundert nach einem russischen Protektorat strebten.“ FAZ, 20.08.2008
www.georgische Zeitung.de; www.georgienseite.de
Aus: Mari-Carin von Gumppenberg; Udo Steinbach, Der Kaukasus, Geschichte, Kultur, Politik, becksche Reihe, München 2008, Krisen Region  Kaukasus: Ursachen, Akteure, Perspektiven, S. 135
www.georgienseite.de
www.georgienseite.de: Die Geschichte Georgiens
Wikipedia; außerdem: Maria Carin von Gumppenberg, Udo Steinbach (Hrsg.): Der Kaukasus, becksche reihe,, München 2008
www.kaukasische-zeitung.de; www.georgieenseite.de
Nach: deutsch kaukasische gesellschaft e.V./  www.abchasien.de u.a.
Handelsblatt, 26.08.2008
In der Matrioschka, der russischen Puppe in der Puppe stecken mehrere immer kleiner werdende Ausgaben ineinander, die bis auf die Größe vollkommen miteinander identisch sind.
Dazu auch ein sehr interessanter Aufsatz von Boris Forkel, Georgiens  Weg nach Europa. Förderliche und hemmende Einflüsse der Kultur auf den gegenwärtigen Transformationsprozess, webtext, 2008
ebenda
Einzelheiten u.a. gut bei Wikipedia
Informationen aus: Mari-Carin von Gumppenberg; Udo Steinbach, Der Kaukasus, Geschichte, Kultur, Politik, becksche Reihe, München 2008
Ebenda, A.123 ff, Der ungelöste Streit um Südossetien
Ebenda
Ebenda, S. 102 ff, Abchasien – Kämpfe um den schönsten teil der Schwarzmeerküste
Ebenda, S. 149 ff Internationale Organisationen – Hemmschuh oder Motor für eine Konfliktlösung im Kaukasus?
Siehe dazu: Stephen Bernhard, Nach der Rosenrevolution eine neue Revolution? Eurasisches Magazin 3/08 und 4/08; außerdem laufende Berichterstattung von ria-novosti und russland.ru
Russland Analysen 169/08, S. 4; Spiegel online,13. August 2008
www.georgien.ru
Stephan Bernhard, Eurasisches Magazin  3/08 und 4/08
Siehe NATO-Bericht in der FAZ vom 6.9.2008
Russland Analysen 169/08, S. 5 ff
Michel Chossudovsky, www.global research.ch, 10.8.2008
Robert Scheer, www.truthout.org, 12.08.2008
Osteuropa 9-10/2004, Europa unter Spannung, Energiepolitik zwischen Ost und West,
Einzelheiten zu den strategischen Programm des Korridors =  TACIS, TRACECA, INOGATE in: Kai Ehlers: Asiens Sprung in die Gegenwart, Russland, China, Mongolei. Die Entwicklung eines Kulturraumes „Inneres Asien“, Pforte, 2006
6. Sbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, Fischer bt 14358, 1997/99
Mehr zu diesem Thema: Kai Ehlers, Gasprom – Expansion oder Kooperation, in Hintergründe, 21.10.2008

Für die chronologischen Angaben wurde u.a. die thematisch rubrizierte Berichterstattung von ria-novosti und russland.ru genutzt

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*