Forum 102: Bilanz nach einem halben Jahr Pause

Liebe Freundinnen, liebe Freunde!

Vor Euch seht Ihr den ersten Bericht, nachdem wir die Pause von gut einem halben Jahr ohne Treffen in der Forumsrunde hinter uns gebracht haben. Ziehen wir also Bilanz, wie für die Einladung zu diesem Treffen vorgeschlagen.

Wir waren, um das als Allererstes zu sagen, in sehr voller Besetzung zusammengekommen und alle in guter Stimmung darüber, dass und weil wir uns endlich wieder über den Lauf der Ereignisse in der Welt und im persönlichen Leben im Gespräch austauschen konnten. Das darf hier wohl als wichtigste Mitteilung vorangestellt werden.

Darüber hinaus, genauer über die Mitteilung der persönlichen Befindlichkeit hinaus, gab es wenig Angenehmes zu besprechen. Direkt und einfach gesagt: Der Krieg in der Ukraine, der über Europa hereingebrochen ist, wird nach wie vor befeuert und es ist kein Ende abzusehen. Nach wie vor ist keine Bereitschaft bei den Konfliktparteien zu erkennen, den Krieg zu beenden. Die bisher genannten Kriegsziele sind absehbar nicht zu erreichen. Weder besteht Aussicht für die Ukraine die Krim und die abgetrennten Republiken Donbass und Lugansk zurückzuerobern, noch kann Russland sich die Ukraine ganz einverleiben. Die eine wie die andere Variante kann den Konflikt nur ins Endlose verlängern. Es kann nur eine Lösung geben: sofortiger Waffenstillstand und Eintritt in Verhandlungen unter Aufsicht und Kontrolle eines Völkergremiums für eine Ukraine, die zwischen den Blöcken ihren eigenen Entwicklungsweg findet. Aber – und da finden zurzeit alle Friedenswünsche ihre Grenze – solange die Ukraine als Prellbock gegen Russland benutzt wird, und solange Russland sich nicht weiter zum Prellbock machen lassen will, ist eine solche Lösung des Konfliktes nicht in Sicht. 

Diese Lage der Dinge wirft die Frage nach den Dynamiken auf, die diesen Krieg weiter antreiben. Wird in der Ukraine die Freiheit des Westens verteidigt – wie seinerzeit angeblich in Afghanistan? Natürlich nicht, weder ist der Westen „frei“, noch wurde seine „Freiheit“ in Afghanistan verteidigt, ebenso wenig wie jetzt in der Ukraine. Aber geht es nur um ökonomische und machtpolitische Interessen, die sich im Durchgangsraum der Ukraine zwischen Asien und Europa zu einem besonders extremen Konfliktfeld verdichten?

Zweifellos geht es um solche Interessen, ja, aber dies ist nicht alles. Über die vordergründigen materiellen Interessen hinaus öffnet sich die Frage nach den Lebens- und Zukunftsvorstellungen, die in der Transformation der gegenwärtigen Weltentwicklung aufeinanderprallen. Einfach gesprochen, der Konflikt in der Ukraine wird nicht nur mit Waffen ausgetragen. Es verdichten sich nicht nur die militärischen Blöcke in dem dort geführten Stellvertreterkrieg zu einem schwarzen Loch, das die Energien des Globus unheilvoll gegeneinander führt. Hinter den Waffengängen polarisieren sich auch die verschiedenen kulturellen Ströme der Gegenwart in widersprüchlichster Weise. Die amerikanisierte (Un)Kultur des „queeren“ Cancel Culture provoziert die Rückwendung in traditionalistische Orthodoxie auf Seiten Russlands und seiner ideologischen Unterstützer. Hinter den beiden Polen erneuert sich eine modernisierte chinesisch-asiatische Tradition. Über all dem erhebt sich das alle überschattende Gespenst eines digitalisierten Transhumanismus.

Wo finden wir in dieser Melange Ansatzpunkte für eine menschengerechte Zukunft? Mit dieser Frage wollen wir uns das nächste Mal genauer befassen.

Das Thema des nächsten Treffens am 14.05. ließe sich so fassen:

Der Ukrainekonflikt als Menetekel eines globalen Kulturwandels?

Seid herzlich gegrüßt,

Kai Ehlers, Christoph Straessner

 

P.S.

Der Termin am 14.05 hat bereits stattgefunden. Siehe dazu  den Forumsbericht 103.