Idlip: Eingreifen, aber wie? Anmerkungen zur Perversion eines Dialogs

Wer nach dem Treffen der deutschen Bundeskanzlerin  und des russischen Präsidenten  in Sotchi im Mai dieses Jahres und dem Folgetreffen vor ein paar Wochen in Meseburg die Erklärungen der beiden auf sich wirken ließ, die sie vor dem Eintritt in die Gespräche vor der Presse abgaben, hätte sich der Hoffnung hingeben können, dass nun wieder eine Phase engerer deutsch-russischer Beziehungen eingeleitet werde.

Erklärte Angela Merkel doch nach einer Vorstellung der anstehenden Tagesordnung  –  von der Ukraine  über Nordstream 2, den Iran bis zu Syrien und zu den Menschenrechten –  sie „glaube, dass die strittigen Fragen durch einen Dialog gelöst werden können.“  Ein wichtiges Thema sei „natürlich“ die Vermeidung einer „humanitären Katastrophe“ in Syrien.

Wladimir Putin pflichtete ihr bei, wurde allerdings konkreter. Es müsse alles getan werden, erklärte er, dass die Flüchtlinge aus dem Libanon, aus Jordanien, aus der Türkei, die potentiell eine enorme Belastung für Europa seien,  nach Hause zurückkehren könnten. Elementare Dinge müssten dafür getan werden: „Man muss helfen, die Wasserversorgung, die sanitären Einrichtungen und die medizinische Versorgung  wiederherzustellen. Das sind die grundlegendsten Dinge.  Und ich denke, dass alle daran interessiert sind, auch Europa.“ (Presseerklärung in www.russland.news vom 19.08.2018)

Soweit, so gut. Nun sollte man meinen, dass die deutsche Politik alles tun werde, um den in Sotschi und Meseburg angekündigten Dialog auf allen Ebenen zu konkretisieren – ganz aktuell in Idlib, in Damaskus, in den betroffenen Ländern, in den „Formaten“ von Genf und Astana, kurz, überall dort, wo direkt an den syrischen Konflikten Beteiligte zusammenkommen, um zu beraten, wie die von allen befürchtete humanitäre Katastrophe in Idlib verhindert werden könnte – wenn es denn darum ginge, den letzten noch offenen Kriegsherd in Syrien mit so wenig Blutverlust wie möglich zu schließen.

Denn nur darum kann es ja nach Lage der Dinge gehen, wenn ein Dialog gewollt wird, der an der Vermeidung einer humanitären Katastrophe orientiert ist: Die in ihrem letzten Rückzugsgebiet Idlib verschanzten „Rebellen“ zu einem unblutigen Einlenken zu veranlassen. Zumindest aber ginge es darum, wenn sie denn  zum Einlenken nicht bereit wären, weil sie einen Kampf bis zum bitteren Ende vorziehen, so wie andererseits die syrische Regierung entschlossen ist, diesen Kämpfen ein Ende zu setzen, über die Einrichtung von Evakuierungshilfen für die an den Kämpfen nicht beteiligten Einwohner der Stadt zu verhandeln.

Zumindest der Versuch zu solchen Verhandlungen wäre zu unternehmen, an denen alle Konfliktparteien zu beteiligen wären. Das wären die westlichen Unterstützer der „Rebellen“, allen voran die USA, die intensive Kontakte zu ihnen halten, wie auch die russischen Partner Assads. Jedes andere Eingreifen in die Kämpfe durch Helfer, die nicht von der syrischen Regierung gerufenen wurden, verbietet sich bei Strafe einer nicht absehbaren Eskalation in Idlib selbst, ganz zu schweigen von der Völkerrechtswidrigkeit solcher ungebetenen Eingriffe und der möglichen Ausweitung des Konfliktes zwischen den im syrischen Raum involvierten Mächten.

Um es unmissverständlich zu sagen: Als Bündnispartner, der von Assad ins Land gerufen wurde, ist Russland  Bestandteil der syrischen Kräfte, die Amerikaner und ihre westlichen Koalitionäre sind es nicht. Ihr Versuch, das Land zu besetzen, ist gescheitert. Türkei, Libanon, Israel, Jordanien, Irak sind unmittelbar in Mitleidenschaft gezogen von den Vorgängen in Syrien. Sie suchen eine Lösung, um die Last der Flüchtlinge abzuwerfen. Ägypten, Saudi-Arabien, Iran sind als regionale Mächte strategisch involviert.  Wer Syrien beherrscht, beherrscht Mesopotamien. Wer Mesopotamien beherrscht, hat die Hand  auf dem Gelenk zwischen eurasischer und afrikanischer Welt.  Dazu kommen die immensen noch unerschlossenen Öl- und Gas-Vorräte des Gebietes.

Wenn Assad und seine russischen Verbündeten jetzt von den USA, Frankreich und Großbritannien „gewarnt“ wurden, ein möglichicherweise drohender Giftgaseinsatz von Seiten des syrischen Militärs in Idlib werde ihr militärisches Eingreifen nach sich ziehen, so ist das geradezu eine Aufforderung an die „Rebellen“ selbst eine solche Situation zu simulieren. Sie könnte ihnen nützen. Für Assad wäre ein Giftgaseinsatz in einer Situation, in der er kurz vor einem vorläufigen Sieg über die „Rebellen“ steht, dagegen maximal kontraproduktiv. Das Gleiche gilt für Russland. Den USA und ihren Koalitionären könnte ein solcher Vorfall die Legitimation liefern, ihre Hand erneut auf Mesopotamien zu legen, nachdem der erste Versuch mit dem Eingreifen Russlands gescheitert ist.    

Wenn in deutschen Regierungskreisen jetzt erwogen wird, sich diesem Vorgehen durch Beteiligung an einem militärischen Einsatz anzuschließen, pervertiert das nicht nur die öffentlich inszenierte Dialogbereitschaft Deutschlands Russland gegenüber in eine Drohung, es untergräbt zugleich die aus der Geschichte erwachsene deutsche Verantwortung für eine friedenspolitisch orientierte Vermittlung in einer sich im Umbruch befindenden Welt.

 

Kai Ehlers

www.kai-ehlers.de