60. Treffen des Forums integrierte Gesellschaft: Was ist ethischer Individualismus?

Schafft ein, zwei, drei viele Allmenden

Bericht vom 60. „Forum integrierte Gesellschaft“ am 16.06.2018

Und Einladung zum nächsten Treffen am 18.08.2018

 Das „Forum integrierte Gesellschaft“ ist ein offener Gesprächskreis mit dem Ziel kritische Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen und mit unterschiedlichen Weltsichten in lebensdienlichen  Austausch zueinander zu bringen. Die Treffen finden in lockerer, freundschaftlicher Atmosphäre statt.

Liebe Freunde, liebe Freundinnen des Forums,

Das zurückliegende Treffen war auf eine scheinbar ganz unpolitische, aber doch höchst explosive Frage gerichtet, nämlich darauf, zu klären, was unter dem Begriff eines „ethischen Individualismus“ in Abgrenzung zu Scheinalternativen wie Egoismus oder Altruismus, bzw. Nationalismus  oder Globalismus zu verstehen ist.

Zu klären war, ob Deutschland, eingegliedert in Europa, für die Auflösung des gegenwärtigen Ost-West-Konfliktes, bzw. der sich herausbildenden multipolaren Unordnung eine Vermittlerrolle entwickeln könne und wenn, dann auf Grundlage welcher politischen Kultur und welcher weiter reichenden Perspektive.

Es kann und soll hier nicht der ganze Verlauf des Gespräches nachgezeichnet werden. Es wurde mit hoher Intensität und entlang von Texten von Max Stirner und Rudolf Steiner geführt, die jeder auch selbst mit Gewinn studieren kann – und unserer Meinung nach sogar sollte, ungeachtet dessen, aus welchem politischen ‚Lager‘ er oder sie kommt. Ein paar Anregungen sollen hier dennoch nicht zurückgehalten werden.

Nach einer Runde persönlicher Aussagen, was ein jeder, eine jede aus der versammelten Runde unter dem Stichwort ‚Egoismus‘ auf der Skala von Selbstversorgung über Selbstsucht zu Eigenart bis hin zu Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung spontan assoziieren konnte, half ein Rückgriff auf Max Stirners „Der Einzige und Sein Eigentum“ die ‚Wahrheitssuche‘ in der notwendigen Weise zu radikalisieren.

Stirner, Zeitgenosse von Hegel, Nietzsche ebenso wie Marx, zertrümmert mit seinem  Text ohne jegliche moralische Rücksicht das gesamte Wertegebäude seiner Zeit einschließlich von dessen traditionellen philosophischen und religiösen Grundpfeilern.

Ich zitiere aus seiner Einleitung. Unter der Überschrift: „Ich hab` mein Sach` auf Nichts gestellt“ heißt es dort am Schluss:

„Das Göttliche ist Gottes Sache, das Menschliche Sache ‚des Menschen‘. Meine Sache  ist weder das Göttliche  noch das Menschliche, ist nicht das Wahre, Gute, Rechte, Freie usw., sondern allein das Meinige, und sie ist keine allgemeine , sondern ist – einzig, wie Ich einzig bin. Mir geht nichts über mich!“

Stirners radikaler Bruch mit sämtlichen Kategorien göttlicher und gesellschaftlicher Werte, insbesondere dem deutschen Idealismus wurde von seiner Zeit als ‚Anarchismus‘, (heute wie Terrorismus) ‚Nihilismus‘ usw. radikal abgelehnt und ins Vergessen gedrückt. In Nietzsches Schaffen findet sich ein Abglanz der Stirnerschen Radikalität, ohne dass Nietzsche sich offen zu Stirner bekannt hätte. Marx und Engels lehnten seinen Ansatz als antisozial ab. Der Einzige, der Stirners bedingungslose Orientierung auf das ICH als Aufforderung zu einem geistigen Neubeginn annahm, war ein Jahrhundert nach ihm Rudolf Steiner – der in seinen frühen Schriften, nicht zuletzt auch in seiner Hauptschrift „Die Philosophie der Freiheit“ Stirners Grundansatz aufgriff – um diesen Ich-Ansatz dann allerdings aus dem Anti-Sozialen heraus zu dem weiterzuführen, was er den „ethischen Individualismus“ nannte.

Um so hart an den Texten zu bleiben, wie das Gespräch im Forum war, sollen hier einige einschlägige Passagen aus Steiners „Philosophie der Freiheit“, konkret aus dem Kapitel: „Die Idee der Freiheit“, zitiert werden, in denen Steiner sein Verständnis des „ethischen Individualismus“ erklärt:

„Wem die Fähigkeit fehlt für den einzelnen Fall die besondere Sittlichkeitsmaxime zu erleben, der wird  es auch nie zum wahrhaft individuellen  Wollen bringen.

Der gerade Gegensatz dieses Sittlichkeitsprinzips  ist das Kantsche: Handle so, daß die Grundsätze  deines Handelns für andere Menschen gelten können. Dieser Satz ist der Tod aller individuellen Antriebe des Handelns. Nicht wie alle Menschen handeln würden, kann für mich maßgebend sein, sondern was für mich in dem individuellen Fall zu tun ist.“ (S. 126)

Und in der Folge zwei Seiten weiter :

„Wer nur handelt, weil er bestimmt sittliche Normen anerkennt, dessen Handlung  ist das Ergebnis  der in seinem Moralkodex stehenden Prinzipien. Er ist bloß der Vollstrecker. Er ist ein höherer Automat.  Werfet einen Anlaß zum Handeln in sein Bewußtsein, und alsbald setzt sich das Räderwerk  seiner Moralprinzipien  in Bewegung und läuft in gesetzmäßiger Weise ab, um eine christliche, humane, ihm selbstlosgeltende, oder eine Handlung des kulturgeschichtlichen Fortschrittes zu vollbringen. Nur wenn ich meine Liebe  zu einem Objekte folge, dann bin ich es selbst, der handelt. Ich handle auf dieser Stufe der Sittlichkeit nicht, weil ich einen Herrn über mich anerkenne, nicht die äußere Autorität, nicht eine sogenannte innere Stimme. Ich erkenne kein äußeres Prinzip meines Handelns an, weil ich in mir selbst den Grund des Handelns, die Liebe zur Handlung gefunden habe. Ich prüfe nicht verstandesmäßig, ob meine Handlung gut oder böse ist; ich vollziehe sie, weil ich sie liebe. Sie wird ‚gut‘, wenn meine in Liebe getauchte Intuition in der rechten Art in dem intuitiv  zu erlebenden Weltzusammenhang drinnen steht; ‚böse‘, wenn das nicht der Fall ist. Ich frage mich auch nicht: wie würde ein anderer Mensch in meinem Fall handeln? – sondern ich handle, wie ich, diese besondere Individualität,  zu wollen mich veranlaßt sehe. Nicht das allgemein Übliche, die allgemeine Sinne, eine allgemein-menschliche Art, sondern meine Liebe  zur Tat. Ich fühle keinen Zwang, nicht den Zwang der Natur, die mich in meinen Trieben leitet, nicht den Zwang der sittlichen Gebote, sondern ich will einfach ausführen, was in mir liegt.“ (S. 128)

„Diese Handlung aus Freiheit“, schreibt Steiner dann „schließt die sittlichen Gesetze nicht etwa aus, sondern ein; sie erweist sich nur als  höherstehend gegenüber  derjenigen, die nur  von diesen Gesetzen diktiert ist.“ Mit dieser Erklärung geht er ausdrücklich über den A-Moralismus Stirners  hinaus, ohne dessen radikale Orientierung auf das Ich in Frage zu stellen.

Schließlich formuliert Steiner, was man als Maxime des „ethischen Individualismus“ verstehen kann: „Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime des freien Menschen.“ (S.131)

Damit genug zitiert. Wer diese Sätze für sich ins Leben zu bringen vermag oder es zumindest versucht, dem erschließen sich für die Beziehungen zwischen einzelnen Menschen wie zwischen Gruppen und ganzen Gesellschaften, Völkern oder Nationen andere Dimensionen als die von „Sachzwängen“ getriebenen Konfrontationen. Das kann jede/r für sich und in Gemeinschaft mit anderen konkretisieren. Wie es sich politisch konkretisieren lässt, wollen wir beim nächsten Treffen des Forums mit folgenden Fragen unter die Lupe nehmen:

  • Was kann Trump?
  • Was kann Putin?
  • Was können wir?

Das Treffen ist anberaumt

für den 18.08.2018  um 16.00 Uhr am üblichen Ort

(wer den Ort nicht kennt, kann ihn über www.kai-ehlers.de erfragen)

Bis dahin,

genießt den Sommer, soweit die Ereignisse es zulassen!

 

Im Namen des Forums integrierte Gesellschaft,

 

Kai Ehlers