Putins Rosen, Merkels Lächeln – ein Pfingstwunder oder ein Versprechen?

Man möchte sich die Augen reiben angesichts der aktuellen Reisetätigkeit deutscher Politikerinnen und Politiker in Richtung Russland, erst Wirtschaftsminister Altmaier und Außenminister Maas nach Moskau, danach  Bundeskanzlerin Merkel persönlich nach Sotschi, begleitet von wohlwollenden Kommentaren aus der zweiten Reihe des politischen Establishments, der Wirtschaft und der Medien aus Deutschland wie auch aus dem europäischen Raum.

Hat der provozierende Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran eine neue Phase deutsch-russischer und darüber hinaus europäisch russischer Beziehungen eingeleitet? Man möchte es glauben.

Die europäische Empörung über das Vorgehen der US-Führung ist nahezu einhellig. Man ist entsetzt, verwirrt, ratlos. Der französische Präsident Emmanuel Macron, soeben noch händchenhaltend mit Donald Trump in Washington unterwegs, die außenpolitische Vertreterin der EU Mogherini, die ihre jahrelangen Bemühungen um das Zustandekommen des Atomabkommens zerstört sieht, selbst EU-Ratspräsident Tusk, der so leicht nichts auf die USA kommen lässt, zeigen sich ernsthaft düpiert. Tusks Bemerkung, wer solche Freunde habe, brauche keine Feinde, spricht für sich.

Man erklärt, nicht nur zusammenrücken zu müssen, sondern es auch zu wollen. Es wird nach Gegenmaßnahmen gerufen. Die europäische Empörung  trifft sich mit der Kritik aus Moskau, aus Peking, aus den Vereinten Nationen.

Mit gleicher Stärke melden sich allerdings Bedenkenträger, die davor warnen, den angeschlagenen, aber desto aggressiveren Riesen USA durch Unbotmäßigkeiten zu provozieren, weil man sich eine Konfrontation mit den USA wegen der bestehenden Handelsverflechtungen ökonomisch nicht leisten könne. Man fürchtet von den Sanktionen betroffen zu werden, die Washington denen androht, die mit dem Iran Geschäfte betreiben. Aber nur noch pervers muten die Überlegungen aus Brüssel an, den US-Sanktionen dadurch begegnen zu wollen, dass diejenigen, die sich ihnen beugen wollen, mit der Androhung europäischer Sanktionen davon abgehalten werden sollen. Salto mortale!

 

Leichtes Aufatmen, aber…

Da lässt die freundliche Atmosphäre des kleinen russisch-deutschen Gipfels in Sotschi natürlich aufatmen. Wer genauer hinschaut, was da zwischen dem russischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin in Sotschi besprochen worden ist,  muss allerdings feststellen, dass außer der Erklärung einer Dialogbereitschaft nichts Essentielles beschlossen worden ist.

Die heißen Themen blieben heiß; sie wurden nur in Formeln  gegossen: Zum Pipelineprojekt der Nordstream 2, dessen Einstellung ebenfalls auf Trumps Forderungsliste steht, will man schauen, was „wirtschaftlich sinnvoll“ ist. Zur Lösung des ukrainischen Dauerkrieges wurde erneut das Minsker Abkommen bemüht, das eingehalten werden müsse. Für Syrien mahnte Putin humanitäre Hilfe an, die nicht an politische Bedingungen geknüpft sein dürfe. Das lehnte Angela Merkel ab, forderte andererseits, dass Russland auf Assad einwirken solle, die Verordnung zurückzunehmen, nach der Syrer, die sich nicht binnen weniger Wochen an ihrem Heimatort melden, ihr Wohneigentum verlieren. Beschlossen wurde dazu nichts. In der Frage der Krim bewegt sich nichts mehr – außer amerikanischen Protesten gegen die soeben eingeweihte Brücke, welche die Halbinsel jetzt unter Umgehung der Ukraine mit dem russischen Festland verbindet.

Einig war man sich zwar im Protest gegen den amerikanischen Austritt aus dem Atomabkommen; es gibt aber keinen Grund, sich der Illusionen hinzugeben, dass mit dem Treffen in Sotschi bereits ein Kurswechsel in der Ostpolitik Deutschlands oder der EU eingeschlagen worden sei oder gar weltpolitische Weichen gestellt worden seien. Das ist nicht der Fall.  Trotz gemeinsamer Verurteilung des amerikanischen Vorgehens gab es auch in Sotschi, so wie in der EU und weltweit, keine Festlegung, wie mit der entstandenen Situation in Zukunft umzugehen sein werde.

 

… noch keine neue Weichenstellung

Die weltpolitischen Weichen blieben von dem Treffen unberührt. Sie führen nach wie vor in die Richtung, auf die sie in den letzten Jahren eingestellt waren, nämlich in die Richtung einer Destabilisierung der globalen Völker- und Staatenbeziehungen durch die USA, konkret, der Destabilisierung des mesopotamischen Raumes. Diese Politik bedroht gleichermaßen Russland und die Europäische Union. Mit Russland zum einen und Europa zum anderen bindet sie den Hauptteil der eurasischen Kräfte, was für die USA den Weg frei macht für ein Vorgehen gegen China. Die Propaganda gegen den Iran, ein möglicher Krieg gegen das Land, geführt von den regionalen Stellvertretern der USA, also Israel und Saudi-Arabien, sind Bestandteil dieser Politik.

An dieser Konstellation hat sich durch den kleinen Gipfel in Sotschi zunächst nichts verändert. Etwas Bemerkenswertes ist aber dennoch geschehen: dem erklärten Krisenmanager Putin, der seit Jahren in zunehmender Konfrontation der Destabilisierungspolitik der USA entgegentritt, ist eine potentielle Krisenmanagerin Angela Merkel zur Seite getreten; sie hat zumindest ihre Absicht bekundet, sich für eine Politik des Dialoges statt der Konfrontation öffnen zu wollen – soweit es ihre Verbundenheit mit der Politik der USA erlaubt. Zwar aus der Not geboren, ist dies in der Tat ein Schritt in die richtige Richtung. Da darf man den Ausspruch der Kanzlerin es gehe um „Krieg und Frieden“ durchaus ernst nehmen. Besser hätte sie allerdings ‚Krieg oder Frieden‘, statt ‚Krieg und Frieden‘ gesagt; der Versprecher verrät ihre Unsicherheit angesichts der realen Politik der Bundesregierung im Fahrwasser der USA. Das können auch die verbindlichen Töne von Sotschi nicht vergessen machen. Diese Widersprüche aufzudecken ist selbstverständlich unerlässlich, dem soll an dieser Stelle aber nicht weiter nachgegangen werden.

 

…aber eine Perspektive

Wichtiger ist hier erst einmal festzuhalten, dass sich mit dem Gipfel in Sotschi Perspektiven öffnen, die Deutschlands Rolle als Mittelmacht zwischen atlantischer und eurasischer Einbindung, die zugleich Führungsmacht in der Europäischen Union ist, in den gegenwärtigen Konflikten erneut erkennbar machen. Sowohl aus seiner geographischen Lage als auch aus seiner Geschichte fällt Deutschland die Aufgabe der Vermittlung zu.  Darüber ist nachzudenken.  

Lautet doch der allererste Satz der Präambel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland: „Im Bewußtsein  seiner Verantwortung  vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“

Der gleiche Auftrag wird im Zwei-Plus-Vier-Vertrag, der 1990 die deutsch-deutsche Wiedervereinigung besiegelte, noch einmal bekräftigt.  

An diesen Auftrag gilt es sich zu erinnern.  

 

Kai Ehlers

www.kai-ehlers.de