Auf Wunsch einiger TeilnehmerInnen gebe ich hier eine nachträgliche stichwortartige Zusammenfassung der Rede, die ich bei der Abschlußkundgebung der Hamburger Friedensdemo unter dem Motto: „Gemeinsam für den Frieden. Friedenslogik statts Kriegsrethorik“ gehalten habe.
Liebe Freunde, liebe Freundinnen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer am Rande!
Der Grundtenor, der uns hier zusammenführt ist klar: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg! Für Selbsbestimmung und für Menschenwürde bei uns und überall auf der Welt. Das muß ich hier nicht weiter vertiefen. Ich werde mich auf die Ukraine konzentrieren.
Worum geht es? Was spielt sich in und um die Ukraine herum ab?
Lassen wir uns nicht weismachen, Russland sei an allem schuld und alles wäre gut, wenn Russland sich nur duckte. Man muss den Nebel durchdringen, der um die aktuellen Ereignisse verbreitet wird. Es geht um grundlegende Transformationsprozesse unserer heutigen Welt. Das sind:
1. Das nachsowjetische Trauma – wie wollen wir leben? Nicht mehr „sozialistisch“, aber auch nicht „kapitalistisch“, der globalisierte Kapitalismus ist nur die Fortsetzung der Krise des Real-Sozialismus. Immer mehr Menschen werden in die „Überflüssigkeit“ abgedrängt. Die Frage steht: Wenn nicht so, aber auch nicht so – wie dann? Wo ist mein Platz. Wo und wie kann ich leben? Die Frage steht nicht nur in der Ukraine. Das ist auch unsere Frage. Es ist die Frage nach der sozialen Neuordnung unserer Welt. In der Ukraine stellt sie sich durch die oligarchische Kapitalisierung, die die Menrheit der Menschen dort ins Elend gedrückt hat, besonders krass. Viele träumten davon in der EU, im Westen Erleichterung zu finden – das Gegenteil ist jetzt der Fall. Sie geraten noch tiefer in Not.
2. Nachholende Nationenbildung – die zu radikalisiertem, brutalem Nationalismus führt. Dieser Prozess ist in vielen Ländern zu beobachten, die nach dem Zerfall der systemgeteilten Welt unvermittelt in die Lage kamen, eine eigene Identität finden zu müssen. Das gilt vor allem für Völker und Republiken der ehemaligen Sowjetunion, die vorher im Korsett der Union gehalten waren. Für die extrem pluralistische Ukraine gilt das in besonderem Maße. Aber die Entwicklung ist durchaus allgemeiner. Auch der brutale Fundamentalismus einer „IS“, die einen Gottesstaat erzwingen will, ist Ausdruck dieser Suche nach Identität jenseits der neo-liberalen Globalisierung. Demgegenüber weist eine friedensorientierte Perspektive in Richtung auf Selbstbestimmung, lokale und regionale Autonomie, Föderale Beziehungen, multipolare kooperative Beziehungen im globalen Maßstab.
3. Das führt zu dem dritten Element: Dem tendenziellen Übergang von der nach der Auflösung der Sowjetunion entstandenen unipolaren Welt unter US-Hegemonie in Richtung einer multipolaren, kooperativen, in der die alten mit den neu herangewachsenen Weltmächten auf Augenhöhe kooperieren – aber das will der jetzige Hegemon USA nicht zulassen; sie wollen eine solche Entwicklung mit allen Mitteln verhindern. Stichworte dazu sind, besonders offen nachzulesen bei Sbigniew Brzezinksi als Hauptstratege der US-Politik seit 25 Jahren: Sicherung der US-Herrschaft über Eurasien, um Eurasien zu beherrschen; um Eurasien zu beherrschen Russland unterwerfen; um Russland unterwerfen zu können, die Ukraine aus Russlands historischem Raum herausbrechen; um das zu können, die Ukraine in den westlichen Einflussbereich ziehen.
Die Überlagerung dieser drei Linien ergibt das Ukrainische Bürgerkriegsfeld unter den besonderen Bedingungen der extrem pluralistischen Verfassung der Ukraine und ihrer Durchgangslage zwischen Ost und West und gestern und heute, Eurasischer Union und Europäischer Union. Die Ukraine wird zum Feld, auf dem der Kampf um die Erhaltung der US-Hegemonie stellvertretend ausgetragen wird.
Vor diesem Hintergrund möchte ich festhalten: Nicht die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation war der Auslöser des Bürgerkrieges in der Ukraine sowie des gegenwärtigen Sanktionskrieges, sondern die langfristig angelegte Strategie der USA zur Aufrechterhaltung ihrer unipolaren Vorherrschaft. Im Verfolgung dieser Strategie wurde die Ukraine in eine Situation gebracht, sich zwischen einer Zugehörigkeit zur Europäischen oder zur Eurasischen Union entscheiden zu müssen, wurden die folgenden Unruhen von außen angeheizt, wurde der Umsturz betrieben. Auf den Umsturz folgen die Vorgänge in und um die Krim, die Entwicklung des Bürgerkriegs in der Ukraine, der Sanktionskrieg usw. usf. Erstaunlich genug, dass die Europäische Union diese Politik mitträgt, obwohl die Konfrontation mit Russland nicht nur Russland, sondern auch sie selbst schwächt, so dass die USA den lachenden Dritten machen können.
Die Einstellung der Kampfhandlungen, ebenso wie des Sanktionskrieges, der Übergang von der Konfrontation in den Dialog ist das, was wir eindeutig von unserer Regierung und von Brüssel fordern müssen – aber letztlich wäre auch die Einstellung der Feindseligkeiten nur die Voraussetzung, von der aus um den Frieden gerungen werden kann. Es kann ja nicht darum gehen, einen Hegemon durch einen anderen auszutauschen. Letztlich werden wir eine friedlichere Welt nur gewinnen können, wenn wir die Grundfrage „Wie wir leben wollen“ beantworten, wenn es uns gelingt die aufgerührte politische Situation dafür zu nutzen, das Gespräch um die Entwicklung von Perspektiven zu führen, die über die jetzt herrschenden Verhältnisse in eine Situation der Selbstbestimmung in kooperativer Gemeinschaft hinausweisen.
Dies alles ist auf meiner WEB, besonders in dem aktuellen Text: „Gegen den Krieg – Können wir sachlich bleiben?“ nachzulesen, darüber hinaus auch in den Sammelbänden „Spiel mit dem Feuer“ (Papyrossa) und „Ukraine im Visier“, (Selbrund/Hintergrund).