Treffen des „Forums integrierte Gesellschaft“: Unser letztes Treffen zum Thema „China“ verlief bemerkenswert. Um es einmal ganz „chinesisch“ zu sagen: Es stand voll und ganz im Zeichen der ineinander übergehenden Komplementarität der Dualität von Yin und Yang. Unsere Eingangsfrage lautete: Welches Bewusstsein wächst heute in China und über China hinaus in Asien heran? Diese Frage knüpfte an die vorhergehenden an, die nach dem Signal gefragt hatten, das von der gegenwärtigen Dynamik des Islam, bzw. auch des Islamismus ausgeht. Unsicherheiten waren aufgetreten, ob unsere Fragestellung nach einem Miteinander der Religionen, mehr noch nach einem überkonfessionellen, über die Grenzen der einzelnen Religionen hinausgehenden mitmenschlichen Diskurs, in dessen Mittelpunkt das gegenseitige Interesse an einer Verwirklichung als selbstbewusster, selbstverantwortlicher Mensch steht, auch die Menschen der chinesischen Kultur mit einschließt. Scharf wurde gefragt: Ist in der chinesischen Kultur, die keinen monotheistischen Gott kennt, dem der Einzelne sich gegenüberstellen oder es (als „Sünder“) auch lassen kann, sondern in der sich der Menschen als Teil des Kosmos begreift, eine Freiheit des Einzelnen denkbar? Ist er nicht einfach Teil des Ganzen – ob er oder sie will oder nicht? Und ist die heutige gesellschaftliche Realität Chinas nicht Ausdruck dieses Bewusstseins? Die Frage führte zunächst direkt zum Zeichen des Yin und Yang als originärem Ausdruck chinesischen Denkens. Himmel und Erde, Mann und Frau, Staat und Volk, die einander komplementär gegenübergesetzt aber eins im anderen angelegt sind und eins auf das andere einwirken. Der Mensch ist im Kosmos verwoben, Objekt und Subjekt zugleich. Himmel und Erde wirken auf ihn, seine Handlungen wirken auf Himmel und Erde. So wird der Herrscher verantwortlich gemacht, wenn Erdbeben, Überschwemmungen, Seuchen oder andere Nöte die Menschen plagen. Der Himmel ist durch sein schlechtes Handeln in Unordnung geraten und das wirkt auf die Erde zurück. Der Herrscher muss durch gutes Handeln die Ordnung wieder herstellen oder den Platz als Herrscher räumen. Ich will auf die Details, die wir an diesem Abend zu diesen traditionellen Vorstellungen gehört haben, hier nicht weiter eingehen. Nur soviel an dieser Stelle: Vor uns öffnete sich ein Bild Chinas, dessen Entwicklung bei aller Kontinuität seiner über 3000jährigen Geschichte durch ständige Korrekturen, Umbrüche und Revolten – kleine und große – gegen die jeweilige Zentralmacht gekennzeichnet ist. Unsere Vorstellung von „China“ als einem Ganzen zerfiel in eine Vielheit von Völkern, Räumen, Sprachen, Epochen, Dynastien, Klassen und Schichten – die am Ende keine andere Gemeinsamkeit mehr erkennen ließ als ihre pure Gegenbewegung: die immer wiederkehrenden Maßnahmen einer Zentralisierung dieses Großraumes, weil nur eine Zentralgewalt ein Überleben und eine Entwicklung ermöglichte – das „Reich der Mitte“, das seinen eigenen Kosmos definierte und diesen Kosmos immer wieder auch mit Gewalt wiederherstellte – bis hin zur heutigen Parteidiktatur. Ich darf ehrlich sagen, dass unser Gang durch die chinesische Geschichte bis hier hin, bei allen Versuchen, eine geistesgeschichtliche oder gar eine realgeschichtliche Kontinuität zu erkennen und bei aller Informiertheit derer, die China aus eigenem Studium und aus eigener Erfahrung schildern konnten, eher etwas vom Tasten im Nebel hatte, bei dem das vormals vorhandene Bild der „chinesischen Kultur“ sich in viele einander widersprechende Facetten auflöste und die Frage nach einer erkennbaren heutigen Bewusstseinsentwicklung des heutigen China immer unfassbarer wurde. In den Vordergrund schob sich dagegen immer drängender der „Bruch“ durch die Revolution, die die „alten Zöpfe“ mit Gewalt abgeschnitten habe, Massenchaos durch die „Kulturrevolution“, die heutige Realität der Parteidiktatur. Die Schilderungen der autoritären Strukturen, der Unterdrückung im Namen der Partei, die immer noch das Label des „Kommunismus“ und der „Weltrevolution“ vor sich her trage, obwohl sie inzwischen faktisch eine Partei des herrschenden Kapitals sei, begann den Gang der Diskussion zu bedrücken – als ob es in China, trotz aller vorher diskutierten Unterschiede – nur die Perspektive einer gleichmacherischen Modernisierung gebe. An dieser Stelle geschah, was geschehen musste: Der weiße Punkt in der schwarzen Hälfte des Yin/Yang Zeichens weitere sich zu der Frage, ob es denn nicht eine Gegenbewegung gegen die vom System mit Gewalt forcierte Modernisierung gebe. Und siehe da! Wie von ungefähr stand auf einmal der Satz im Raum: „In China ist alles möglich!“ Mehr noch: „Die Menschen Chinas“, erklärte der Referent des Abends, „sehnen sich nach Möglichkeiten der persönlichen Verwirklichung, nach Mitgefühl und Empathie / Liebe. Zahllose Initiativen und Alternativen schießen aus dem Boden.“ Damit waren wir – zur Erleichterung aller – wieder beim Ausgangsthema angekommen, jetzt zugespitzt auf die Frage, ob die gewaltsame Modernisierung in China Kräfte der Empathie hervorbringe und welche. Unter dem Motto „In China ist alles möglich“ beschlossen wir, diese Frage zum Thema unseres nächsten Treffens zu machen. Das nächste Treffen wird stattfinden
am Samstag, den 29. 01, 2011 um 16.00 Uhr Thema: In China ist alles möglich – Ansätze für die Entwicklung von emphatischem Bewusstsein in China. Wir setzen darauf, dass sich alle nach ihren Möglichkeiten aktuelle Infos zu dieser Frage beschaffen, ggflls. auch „ergoogeln“. Habt Ihr interessante Quellen, schickt sie mir; ich gebe sie weiter. Wir vom Forum aus tragen ebenfalls das unsere dazu bei.
Für die, die sich über die konkrete chinesische Situation hinaus vorbereiten wollen, empfehle ich: Jeremy Rifkin, Die empathische Zivilisation, Wege zu einem globalen Bewusstsein, Campus.
Erinnert sei auch noch einmal an: Kai Ehlers, Asiens Sprung in die Gegenwart, Die Entwicklung eines Kulturraums „Inneres Asien“, Pforte
Im Übrigen gilt, was immer für unsere Einladung gilt: Kommt pünktlich, bringt Neugier und eine Kleinigkeit zum Knabbern mit.
Und bitte meldet Euch an. Herzlich,
im Namen des Forums integrierte Gesellschaft
Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de
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