Ein Grundeinkommen ist „geil“ – klar, darin sind wir uns alle einig. Aber was, bitte sehr ist ein Grundeinkommen? Hier beginnen schon die ernstesten Differenzen. Ich will mich gar nicht mit den verwässerten Formen des Bürgergeldes oder der an bestimmte Bedingungen gebundenen Varianten aufhalten. Wichtiger erscheint mir, dass die Frage des Grundeinkommens nicht ohne die Frage nach einer Grundsicherung des Lebens zu beantworten ist, denn was nützt das schönste Grundeinkommen, wenn die allgemeinen Lebensgrundlagen nicht garantiert, wenn sie extrem niedrig oder gar bedroht sind?
Damit bin ich bereits bei der ersten Frage der OYA-Redaktion: Ein Grundeinkommen, das die allgemeine Grundsicherung nicht mitdenkt, sondern auf die individuelle Ausschüttung von Geld durch den Staat beschränkt wird, schafft zwar individuelle Unabhängigkeit von Zwangsmaßnahmen wie Hartz IV etc. und ist insofern zu begrüßen – eine Befreiung von staatlicher Bevormundung, gar eine Alternative zur expansiven Wachstumsgesellschaft und deren Folgen ist sie noch nicht.
Zu einer Alternative kann ein Grundeinkommen erst werden, wenn die Koppelung von Arbeit und Lohn in Frage gestellt wird, wenn die Ergebnisse der Arbeit stattdessen in ein allgemeines Grundvermögen einfließen, aus dem eine Grundsicherung wie auch ein – an der Qualität der Grundsicherung zu bemessendes – individuelles Grundeinkommen gezahlt wird. Eng verbunden mit dieser Art der Arbeitsorganisation ist, der heute wuchernden, globalisierten Fremdversorgung eine lebens- und gemeinschaftsfördernde Symbiose aus Versorgung mit Fremdgütern und erneuerter Eigenversorgung vor Ort an die Seite zu stellen.
Es ist offensichtlich, dass eine solche Organisation der Arbeit und des Lebens die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse sprengt, die auf dem individuellen Verkauf der „Ware Arbeitskraft“ beruhen. Es tritt ein Verständnis von Arbeitsteilung hervort, bei dem der einzelne Mensch sich als aktiver, verantwortlicher Teil einer Gemeinschaft (vom Kleinen bis zum Großen) versteht, die er versorgt und auf deren Versorgung er sich verlassen kann, solange die Gemeinschaft nicht insgesamt in Not kommt. Dass sie nicht in Not kommt, dafür ist die Wahrscheinlichkeit höher, wenn das Wolfsprinzip des „freien Marktes“ durch das der Kooperation und der gegenseitigen Hilfe abgelöst wird.
Damit bin ich bei den zwei noch verbliebenen Fragen der OYA-Redaktion: Ja, selbstverständlich kann ein so eingebettetes Grundeinkommen von unten her entwickelt werden, muss es sogar, wie es früher im Familienverband geschah und noch in einigen Familien geschieht – zukünftig allerdings im erweiterten Familienverband der selbst gewählten Gemeinschaft, zu der auch assoziierte Einzelne gehören, aufsteigend zur selbst bestimmten lokalen Gemeinschaft, der Region oder Gesellschaft. Niemand muss warten, bis von oben ein Grundeinkommen eingeführt wird. Von oben kommen nur die bekannten Kontroll-Modelle, die Zuteilung an Wohlverhalten binden; bestenfalls wird „die Politik“ auf reale gesellschaftliche Veränderungen reagieren.
Mehr Freiheit, die das Grundeinkommen bringen kann, heißt das auch, kommt nicht automatisch durch dessen Einführung von oben, sondern von jedem Menschen, der oder die selbst an der beschriebenen sozialen Erneuerung mitwirkt, die wir brauchen, um überleben und uns weiter entwickeln zu können. Dies ist ein lang andauernder sozialer und kultureller Prozess. Ich nenne das Ergebnis eine integrierte Gesellschaft.
Kai Ehlers
Siehe dazu mein Buch:
„Grundeinkommen als Sprungbrett in eine integrierte Gesellschaft“, Pforte, 2007/2008 .
Weitere Literatur; www.kai-ehlers.de
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