Wieder einmal erweist Wladimir Putin sich als wahrer Meister des asiatischen Kampfsports, der Gegner nicht frontal angeht, sondern, wenn möglich, ins Leere stoßen lässt: Als er bei der jährlichen Pressekonferenz Anfang Februar 2007, an der 1232 Medienvertreter und –vertreterinnen teilnahmen, gefragt wurde, welches sein Wunschkandidat für die kommenden Wahlen in Russland sei, antwortete er, es werde „keinen ausgewählten Nachfolger“ geben, sondern „Kandidaten“. Im Übrigen hätten die Behörden die Aufgabe, für einen demokratischen Charakter der Wahlen zu sorgen. Darüber hinaus, setzte Putin hinzu, werde er sich allerdings seine Rechte als Bürger Russlands nicht nehmen lassen, beizeiten deutlich zu machen, welcher der Kandidaten ihm besonders zusage.
Auf derselben Pressekonferenz bekannte Putin sich zu der Verpflichtung des Staates Journalisten vor Verfolgung zu schützen. Die „Verfolgung von Journalisten, in unserem Land wie auch in anderen“ erklärte er, sei „eines der gravierendsten Probleme und wir erkennen den Grad unserer Verantwortung dafür an.“ Putin erinnerte in diesem Zusammenhang an Frau Politkowskaja, deren Ermordung er verurteilte, sowie den ebenfalls ermordeten Redakteur der Zeitung Forbes, Paul Klebnikow, der zuvor im Zuge einer Recherche nach den reichsten Russen umgebracht worden war. Klebnikow sei für ein demokratisches Russland gestorben, so Putin. Verantwortung für den Tod des Agenten Litwinenko dagegen wies Putin zurück.
Damit hat der russische Präsident allen bisherigen Spekulationen einer von ihm möglicherweise gewollten dritten Amtszeit, einer möglichen autoritären Inthronisierung eines von ihm abhängigen Nachfolgers oder gar der Errichtung einer Geheimdienst-Diktatur und dergleichen vorerst den Boden entzogen und die letzte Runde seiner Amtszeit so eingeleitet, das eine ruhige Machtübergabe möglich wird. Putin braucht die Ruhe, um die von ihm erreichte Restauration des russischen Staates und der russischen Wirtschaft zu stabilisieren; jede Unruhe wäre für Russland in dieser Situation ein Rückfall. Ob diese Ruhe der Entwicklung zivilgesellschaftlicher Strukturen förderlich ist, wie Putin es selbst sieht oder auch sehen machen möchte, ist eine andere Frage, die mit einem einfachen ja oder nein nicht zu beantwortet ist. Konzentrieren wir uns also auf die Tatsachen:
Da wäre zunächst auf die dreifache Staffelung der russischen Wahlen hinzuweisen. Der allgemein für entscheidend gehaltenen Wahl für einen neuen Präsidenten am 2. März 2008 gehen die Wahlen zur Staatsduma am 2. Dezember 2007 voraus. Beiden Wahlgängen vorgelagert sind die Wahlen zu regionalen Selbstverwaltungsorganen und regionalen Parlamenten, die bereits im Verlauf des Jahres 2006 stattfanden. Die Regionalwahlen werden, obwohl weit vorgelagert, als Testlauf und Experimentierfeld für die Dumawahl und diese wiederum als Start für die Wahl des Präsidenten verstanden.
Das offensichtlichste Ergebnis der Regionalwahlen war ein durchgängiger Sieg der Partei „Einiges Russland“, die als sog. Partei der Macht in alle regionalen Parlamente mit Mehrheit einziehen konnte. In einigen Regionen gewann sie sogar die absolute Mehrheit. (27% – 55%) Zweitstärkste Kraft wurden die Kommunisten der KPRF mit Stärken zwischen 9% und 18%. An dritter Stelle folgte die Partei des ewigen Politclowns Wladimir Schirinowski; sie schrammte allerdings vielerorts gerade an den 5%-Hürden entlang. Achtungserfolge erzielte die „Partei der Pensionäre“ in drei Regionen.
Vollkommen außen vor dagegen blieben die sog. liberalen prowestlichen Parteien, Jabloko, Union rechter Kräfte und andere, die weder einzeln noch in Bündnissen miteinander in auch nur eins der Regionalparlamente einziehen konnten. Bemerkenswert ist die geringe Wahlbeteiligung bei den Regionalwahlen. Der Schnitt lag bei 40%, in Kaliningrad 36% waren es, in Nischni Nowgorod sogar nur 32%. Von den Wählern und Wählerinnen, die zur Wahl gingen, kreuzten im Schnitt zudem noch 6% – 9% „Gegen alle“ als ihre Option an. Dazu trug u.a. auch die Tatsache bei, dass verschiedene Parteien wegen „Verstößen gegen wahlrechtliche Bestimmungen“ nicht zur Wahl zugelassen wurden. Solche Ausschlüsse trafen zumeist national-patriotische und „extremistische“ Parteien, die man offenbar zunehmend aus dem Parteienspektrum auszugrenzen bemüht ist.
Unterm Strich zeigen die Regionalwahlen, dass die Spaltung zwischen herrschender sog. Elite und Bevölkerung sich vertieft: Auf der einen Seite stabilisieren, genauer vertikalisieren sich nun auch die politischen Vertretungsorgane unter Vorherrschaft der Partei der Macht, d.h. der politischen Zentrale, nachdem Putin in der ersteh Hälfte seiner Amtszeit zunächst die Verwaltung restauriert und danach die Oligarchen diszipliniert hat. Auf der anderen Seite kehrt sich die Bevölkerung in wachsendem Maße in passivem Protest von der derzeitigen politischen „Elite“ ab, auch wenn – oder auch gerade weil – keine Alternative zu Putins Politik erkennbar ist.
Mit einer ganzen Reihe von Änderungen des Wahlgesetzes versucht die herrschende Administration schon seit den Wahlen 2004, insbesondere aber seit Beendigung der Regionalwahlen in diesen Prozess hineinzuwirken, wobei nicht klar ist, ob sie ihm entgegenarbeiten oder ihn fördern will. Mit dem Argument, die Übergangsperiode sei nun vorbei, wurde zunächst, noch 2004, die Wahl von Direktkandidaten für die kommende Wahl zur Staatsduma abgeschafft; stattdessen werden die Abgeordneten in Zukunft ausschließlich über Parteilisten in die Duma geschickt. Im November 2006 wurde auch die Direktwahl für Regionalchefs beseitigt.
Ebenfalls im November 2006 wurde die Wahl-Variante “Gegen alle“ endgültig gestrichen, gleichzeitig die Hürde für die Wahl einer Partei ins Parlament von 5% auf 7% angehoben. Seit Dezember 2006 gibt es zudem keine Mindestgrenze mehr für die Wahlbeteiligung. Bis dahin waren Regionalwahlen nur dann gültig, wenn mindestens 20% der Wähler sich beteiligt hatten, für die Staatsduma galten 25%, für die Präsidentenwahlen 50% als Mindestgrenze. Beschlossen wurden außerdem Ausschlussgründe gegen Kandidaten und Parteien wegen Extremismus; Personen, die wegen Schwerverbrechen angeklagt wurden, dürfen nicht mehr an den Wahlen teilnehmen.
Neu gefasst wurde auch das Parteiengesetz: Von den 35 im Jahre 2006 offiziell registrierten Parteien sind danach nur noch 19 zugelassen – insofern sie die neuen Kriterien erfüllen, das heißt, über 50.000 Mitglieder oder eine Parteipräsenz von mindesten 500 Mitgliedern in allen Regionen nachweisen können.
Reform und Repression halten sich in diesen neuen Bestimmungen eine unausgeglichene Waage: Die Direktmandate zum Einfallstor der Käuflichkeit in der Duma geworden. Die Vielzahl der Parteien war mehr als verwirrend, insbesondere wenn – wie häufig – die Programme sich kaum voneinander unterschieden. Die Mindestgrenze der Wahlbeteiligung birgt die Gefahr, dass Wahlen durch Boykott ungültig gemacht werden. Ansätze dazu hat es in der kurzen Geschichte der neuen russischen Gesellschaft bereits gegeben. Eine größere Überschaubarkeit und Zuverlässigkeit der Partei- und Parlamentsorgane herzustellen ist daher durchaus ein sinnvolles Anliegen der russischen Wahlplaner: Mehrere der kleineren Parteien sind bereits dazu übergegangen, sich zusammenzuschließen. Einen Versuch ist es auch sicher wert, dem Wildwuchs käuflicher Parlamentarier durch die Bindung an Parteien Grenzen zu setzen. Andererseits geht die Bodenhaftung der Abgeordneten verloren und die Zusammenschlüsse der kleinen Parteien zu größeren werden von den Zulassungsbehörden als Neugründungen betrachtet; die Parteien müssen also das Risiko einer neue Registrierung durchlaufen, wenn sie sich zusammenschließen. Im Endeffekt werden dabei kleinere politische Gruppierungen auf der Strecke bleiben.
Ob dies alles am Ende tatsächlich einer politischen Aktivierung der Bevölkerung dienlich ist, wird sich beweisen müssen. Die Dumawahlen werden durch die neuen Wahlgesetze jedenfalls einschneidend reglementiert. Von den 19 Parteien, die jetzt übrig bleiben, haben nur drei oder vier die Chance über die neue 7% Hürde zu kommen: Einiges Russland, die neu gegründete Partei der Gerechtigkeit, die KPRF und vielleicht Schirinowskis LDPR. Wo sie für den aktuellen Wahlkampf ihre programmatischen Unterschiede setzen werden, ist noch nicht klar. Außenpolitisch wird es um die Stellung Russlands zum Westen und zu Europa, insbesondere auch in der Energiepolitik gehen müssen; innenpolitisch um die Frage, wie man zu der von Putin und der Regierung eingeleiteten „Monetarisierung“ steht, die der beabsichtigte WTO-Beitritt fordert. Da wird man in den nächsten Monaten nach Unterschieden suchen müssen. Die Grundfrage jedoch, an der man Flagge zeigen muss, ist sehr einfach: Für oder gegen eine Kontinuität der von Putin betrieben Politik der autoritären Modernisierung. Die Entscheidung über Russlands weiteren Weg fokussiert sich unter solchen Umständen auf den dritten Wahlgang, die Wahl des zukünftigen Präsidenten. Auch hier heißt die Frage aber eigentlich nur: Fortsetzung der Putinschen Politik oder nicht? An dieser Frage werden sich auch die zukünftigen Kandidaten ausrichten müssen. Putin kann dann zum Ausklang des Wahljahres seinen Zuschlag an den ihm geeignet scheinenden Kandidaten geben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass der so Ausgezeichnete dann zum neuen Präsidenten Russlands gewählt werden wird.
Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de
Siehe auch:
„Kai Ehlers, „Aufbruch oder Umbruch. Zwischen alter Macht und neuer Ordnung“, Pforte/Entwürfe
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