Terror, Anti-Terror – und dann?

Die letzten Tage sind von einer erneuten Welle von Terroranschlägen gezeichnet: Tschetschenien, Riad, Casablanca, Israel. Die Botschaft der Anschläge lautet: Es gibt keine Sicherheit. Die Vertreibung der Taliban, die Invasion in den Irak, das Referendum in Tschetschenien, die erneuten Friedensgespräche in Israel/Palästina haben nicht gebracht, was sie aus der Sicht der anti-terroristischen Kriegführung bringen sollten, eine Einschränkung des Terrors. Im Gegenteil, sie demonstrieren, dass der Terror in dem Maße an Intensität zunimmt, in dem der Krieg gegen ihn verschärft wird. Die scheinbaren Erfolge im Kampf gegen den Terror lassen dessen ungebrochene Kraft nur um so krasser hervortreten.

Deutlicher als zuvor zeigen die neuesten Anschläge, worauf der Terror zielt und wo er ins Zentrum trifft: Er zielt und trifft auf die schwächste Stelle in der Ideologie der Anti-Terror-Koalition, nämlich auf das Versprechen, Sicherheit in einer Welt zu garantieren, die sich von Offenheit, Unsicherheit und möglichen globalen Katastrophen bedroht fühlt.

Das gilt insbesondere für die USA. Aus dem Versprechen, Ruhe und Ordnung herzustellen, zieht die „einzige übrig gebliebene Weltmacht“ die Legitimation für ihren globalen Herrschaftsanspruch. Und es gilt in erster Linie für deren eigenen Bürger, denen sie Wohlfahrt und Sicherheit verspricht, während im Fernsehen stellvertretend für sie Krieg geführt wird. Kann die Regierung diesen Anspruch nicht einhalten, geht sie ihrer Legitimation und ihrer Autorität verlustig. Im Prinzip gilt das gleiche Muster auch für die übrigen Koalitionäre des Anti-Terror-Bündnisses. Bezeichnend für Lage der Dinge ist die Argumentation Tony Blairs nach dem Irak-Krieg, der die Begründung für eine unipolare Welt unter zentraler US-Vorherrschaft allein aus der Behauptung herleitet, eine multipolare Ordnung enthalte das Risiko weltweiter Unruhen und globale Sicherheit könne nur durch eine unipolare Welt unter zentraler Führung der Weltmacht USA hergestellt werden. Die nicht zu verhindernden Terroranschläge beweisen, dass diese Argumentation nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt: Afghanistan ist nicht befriedet, vielmehr ist das Chaos in Afghanistan wieder eingekehrt, nachdem die autoritäre Ordnung der Taliban von außen beseitig wurde, ohne dass im Lande entsprechende Verhältnisse herangewachsen waren. Statt zu einer Entmilitarisierung Afghanistans führt die Politik der ISAF und der Westmächte zu einer erneuten Militarisierung des Landes, die sich in zunehmenden Clankämpfen und Anschlägen ausdrückt. Eine ähnliche Entwicklung zeichnet sich für den IRAK ab. Bin Laden und Saddam Hussein sind in den Untergrund getrieben; von dort her breitet sich ihr Mythos als unbesiegbare anti-koloniale Kämpfer mit jedem Anschlag weiter aus.

Nicht viel anders in Tschetschenien: Dort sollte das kürzlich von Moskau aus durchgeführte Referendum über eine neue Verfassung den gelungenen Abschluss der Wiedereingliederung der Republik ins Territorium der Russischen Föderation demonstrieren. Die beiden letzten Anschläge demonstrieren jedoch das Gegenteil, nämlich, dass Moskau nicht einmal in der Lage ist, die von ihm selbst installierte Tschetschenische Regierung und seine eigenen Soldaten zu schützen. In Israel sieht man das gleiche Muster: Kaum werden wieder sogenannte Friedensgespräche geführt, beweisen die Anschläge, daß von Frieden nicht die Rede sein kann.

Kurz gesagt: In den neuen Anschlägen offenbart sich nichts anderes als der Bankrott der von den USA, der NATO und dem internationalen Anti-Terror-Bündnis verfolgten Anti-Terror-Linie. Krieg als Antwort auf den Terrorismus kann zu nichts anderem führen als zu einer Eskalation von Terror und Anti-Terror, in welcher der Terror letztlich am längeren Hebel sitzt, weil er sich aus der Wut vor Fremdbestimmung speist, während der Krieg gegen ihn nur Ängste westlicher Gesellschaften vor dem Verlust tatsächlicher oder auch nur vermeintlicher Sicherheit instrumentalisiert.
Diese Klaviatur aber wird in dem Maße unbrauchbar, wie der Krieg eskaliert und das Versprechen auf Sicherheit sich in sein Gegenteil verwandelt, nämlich in die Angst, selbst Opfer von Anti-Terror-Maßnahmen im eigenen Lande zu werden. Diese Maßnahmen beginnen bei wirtschaftlichen Einschränkungen im Interesse der anti-terroristischen Kriegführung und gehen bis hin zum Abbau demokratischer Rechte in den kriegführenden Ländern selbst. In den USA ist das bereits seit längerem zu beobachten, Putins Kurs hat Russland vereist, in Israel herrscht offener Krieg, zunehmend wird die Tendenz zur Einschränkung von Bürgerrechten inzwischen auch in Europa sichtbar.

Bei dieser Linie werden irgendwann auch die Kritiker des eigenen Landes zu Sympathisanten des Terrorismus. Von da zur Eröffnung einer inneren Front gegen den Terrorismus ist es dann nicht mehr weit. Gegen eine solche Entwicklung hilft nur ein deutlicher Paradigmawechsel in der Politik, der den zivilen Weg der gleichberechtigten Kooperation mit den Ländern, aus denen der Terrorismus herüber schwappt, vor dessen militärische Bekämpfung und vor die Erpressung und Bedrohung dieser Länder stellt. Sicherheit kann sich nur aus Vertrauen ergeben. Das könnte die europäische Botschaft sein, die der Eskalation von Terror und Gegenterror entgegengesetzt werden kann.

©
Kai Ehlers
Transformationsforscher und Publizist

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