Einzige Weltmacht – oder Anfang vom Ende der amerikanischen Welt?

Über die Entstehung neuer Integrationsräume
in einer nachkolonialen Welt

Vom Ende der amerikanischen Welt zu sprechen, während sich die USA soeben anschicken, der Welt ihren Willen zu einem langandauernden Krieg gegen die „Achse des Bösen“ aufzuzwingen, scheint nicht gerade im Strom zu liegen. Sieht doch alles so aus, als ob die Welt einer Ära der unangefochtenen US-Hegemonie entgegengehe. Selbst das aufmüpfige Europa, obwohl vereint durch den Euro, zeigt sich gespalten, ob es den USA in den Krieg folgen soll oder nicht. Die übrige Welt hält sich bedeckt, wartet ab.
Das martialische Auftreten der USA ist jedoch keineswegs Ausdruck ihrer Stärke, obwohl die USA zur Zeit unzweifelhaft die stärkste Militärmacht der Welt sind, sondern der fundamentalen Krise, in der sich dieses Land nicht erst seit dem 11.9. 2001 und keineswegs durch die Ereignisse dieses Tages verursacht, sondern schon lange davor befand und immer noch befindet. Die Berichte über Reihen zusammenbrechender US-amerikanischer oder US-amerikanisch dominierter Firmen und Finanzholdings, über die Verschuldung der amerikanischen Kommunen, über die wachsenden sozialen Probleme im Lande füllen ganze Bibliotheken. Der Krieg, den die gegenwärtige US-Administration führen will, ist lediglich Ausdruck davon. Er ist der Versuch, die Krise durch eine global angelegte Notstandspolitik zu überwinden. Effektiv wird die Krise der USA jedoch durch jeden weiteren Tag einer solchen Politik vertieft. Die USA betreiben nicht nur ihre eigene Entzauberung als freieste Nation der Geschichte, sondern auch ihre tendenzielle Entmachtung durch die „Bündnispartner“, denen sie heute Zugeständnisse machen müssen, um den geplanten Krieg führen zu können.
Mit dem Ende der UdSSR und dem Eintritt der Länder der ehemaligen UdSSR und ihrer Einflusszone in eine tiefgehende Transformationsphase schien die globale Hegemonie und das Definitionsmonopol für Fortschritt allein an die USA als dem gesünderen und effektiveren System überzugehen. Im Ergebnis machen sich die USA jedoch lediglich auf, das Erbe der kolonialen Geschichte Europas, einschließlich seines russisch-sowjetischen Auslegers anzutreten. Während Europa nach zwei Weltkriegen und am Ende der Systemteilung eine Widerbelebung seiner kolonialen Vergangenheit mehrheitlich ablehnt, während selbst die Engländer zu 50% gegen neue koloniale Abenteuer auftreten, die Deutschen nach zwei schweren Niederlagen im verspäteten Kampf um einen „Platz an der Sonne“ vor weiteren Versuchen dieser Art zurückschrecken und Russland sich um partnerschaftliche Beziehungen zu den GUS-Ländern bemühen muss, schwingen sich die USA zu einer Wiederbelebung imperialen Denkens im globalen Maßstabe auf. Amerikanische Strategen definieren die Welt heute als amerikanisches Imperium, in dem die Tradition des europäischen, speziell auch des englischen Empire im Interesse des Weltfriedens auf globaler Ebene durch die USA fortgesetzt werden müsse. Da gelten die klassischen imperialen Kriterien von innen und außen wie in den finstersten Zeiten des europäischen Kolonialismus: Sicherheit und Wohlstand innen, Unsicherheit, Unterdrückung und Armut außen. Von einer Weltgemeinschaft, die das Wohl und die Freiheit aller Menschen im Auge hat, ist in diesem Weltbild nicht mehr die Rede, ganz zu schweigen von einer Sorge um die ökologische Gesundheit des ganzen Planeten.
Tatsächlich entwickelt sich die Welt aber nicht so, wie amerikanische Strategen es nach dem Ende der Systemteilung, die man wohl als bisher letztes und höchstes Stadium der imperialen Aufteilung der Welt begreifen muß, definierten. Die Staffel der imperialen Hegemonialmacht geht keineswegs geradlinig von den Supermächten, die sie ihrerseits vom alten, durch zwei Kriege entkolonialisierten Europa übernommen hatten, allein auf die USA über. Vielmehr haben sich im Zuge der beiden Weltkriege des letzten Jahrhunderts und noch einmal verstärkt unter den politischen Schirmen der Supermächte, sozusagen in den Nischen der systemgeteilten Welt neue wirtschaftliche und politische Zentren herangebildet, die jetzt soweit sind, dass sie die Ereignisse nicht nur mitgestalten können, sondern auch wollen.
Da sind zuallererst die neuen Integrationsräume Euro-Asiens; das ist das Integrationsdreieck China, Russland, Indien mit der Mongolei als neutraler Mitte. Dieses Gebiet verzeichnet heute die höchsten wirtschaftlichen Wachstumsraten der Welt. Das ist – von den US-Strategen arrogant, aber ignorant als „schwarzes Loch“ klassifiziert, der Integrationsraum Russlands und der GUS, der aber allen Unkenrufen zum Trotz ein Entwicklungs- und Wachstumsraum ist, ohne dessen Konsolidierung Euro-Asien im Chaos versinken müsste.
Es ist auch der arabische Raum, der gegenwärtig durch eine schwere Krise geht, der sich aber nichtsdestoweniger in Richtung einer Modernisierung und Selbstfindung bewegt.
Diese regionalen euroasiatischen Integrationsräume werden sich um so schneller herausbilden, ggflls. leider jedoch auch konfliktträchtiger, je massiver die USA versuchen, deren Entwicklung zu hintertreiben, sie einzudämmen oder gar zu verhindern wie das gegenwärtig besonders im Falle des arabischen Raums geschieht.
Zu den Integrationsräumen Euroasiens kommen Entwicklungsräume in Südamerika, Süd-Asien und tendenziell auch in Afrika dazu, die allerdings erst in dem Maße ihre Kraft entfalten können, wie die genannten Euroasiatischen Mächte an Eigenständigkeit und Stabilität gewinnen und sich miteinander in der faktisch entstandenen pluralen Ordnung organisieren. Die Europäer, konkret die entstehende Europäische Union, sind heute Bestandteil dieser Entwicklung.
Die USA sind bei genauer Betrachtung keineswegs die einzig verbliebene Weltmacht, sondern ebenfalls ein Bestandteil in der Pluralität dieser Entwicklung, aber anders als die Russen, die das Problem ihrer Über-Expansion in einer sich globalisierenden Welt erkannten und den risikoreichen Prozess der Transformation einleiteten, akzeptieren die USA die Entwicklung neuer Zentren nicht. Sie erkennen nicht die Grenzen ihrer Expansionsmöglichkeiten, sondern schwingen sich zur einzig verbliebenen Weltmacht auf, die keinen Konkurrenten neben sich dulden will. Damit verwandeln sie sich vom Botschafter und Protagonisten der NEUEN WELT, der sie noch in der Mitte des vorigen Jahrhunderts waren, in eine Bremse für die Verwirklichung der neu herangewachsenen Verhältnisse, die eine plurale und kooperative, keine hegemoniale Weltordnung unter Führung einer einzigen Nation verlangen. Sie werden aber die Entwicklung, selbst wenn sie den Globus mit Krieg überziehen, nicht aufhalten können; zu hoffen ist nur, dass kritische Teile der amerikanischen Gesellschaft dies begreifen, bevor ihre Regierungen die Welt in Brand gesteckt haben.
Den Grenzen zwischen den Integrationsräumen kommt unter diesen Bedingungen eine besondere Bedeutung zu, denn die Beziehungen zwischen den regionalen Integrationszentren können sich nicht friedlich entwickeln, wenn der Status der Grenzländer nicht im Einvernehmen zwischen den regionalen Zentren und den Grenzländern definiert wird. Beispiele für Konflikte in solchen Grenzräumen sind heute Afghanistan, Tschetschenien, auch der Irak. Die Ukraine, Weißrussland und Königsberg sind potentielle Konfliktherde, wenn keine Integrationsmechanismen gefunden werden, die diese Länder aus der Isolation zwischen den Grenzen der erweiterten Europäischen Union und dem des russischen Raumes führen. Lösungen können vermutlich, wenn man sich nicht für den Beitritt zu einen oder anderen Seite entscheiden kann, nur gefunden werden, wenn die Grenzlage zwischen den Integrationsräumen in ihrer besonderen Qualität als neutrale Zone nicht nur akzeptiert, sondern auch gefördert wird.
Aktuelle Friedenspolitik, die nicht nur die gewaltsame Eindämmung dieser Grenzkonflikte im Auge hat, hätte ihr Augenmerk daher mehr als bisher auf die Entwicklung der regionalen Integrationszonen zu richten, auf die Stärkung der Grenzräume als wichtige neutrale Verbindungszonen zwischen den Räumen, sowie auf die Herausbildung des politischen Mechanismus, der die organisierte Kooperation zwischen den regionalen Räumen sowie die Befriedung der Grenzräume fördert und stabilisiert.

Kai Ehlers

 

www.kai-ehlers.de

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