Stille Invasion an Chinas Grenzen? Beobachtungen zur „chinesischen Frage“. Korrektur nach einer Reise entlang der russ. chin. Grenzen

Skeptisch geworden gegenüber den Zahlenangaben zur angeblichen Invasion Chinas in den Eurasischen Raum, die ich selbst in einem Feature 2002 noch weitergegeben hatte, machte ich mich im Sommer 2002 in einer dreimonatigen Untersuchungsreise auf den Weg zur Überprüfung vor Ort. Ergebnis: Die Höhe der angebliche 6 Millionen chinesischer Einwanderer ist eindeutig eine politische Zahl. Vergleiche dazu

Gibt es eine „stille Invasion“ über Chinas Westgrenzen in den sibirischen Raum und in die Mongolei? In der Öffentlichkeit, international wie auch in Russland, besonders in Moskau, sind solche Warnungen heute zu hören; von drei, vier, fünf und mehr Millionen Chinesen ist die Rede, die sich bereits auf russischem Territorium aufhielten, bereits eigene kommunale Strukturen entwickelt hätten etc. Auch die Mongolei wird angeblich von chinesischen Einwanderern überschwemmt. Wer diese Behauptungen vor Ort überprüft, wie ich es soeben in einer Forschungsreise in die Mongolei, nach Nord-China und entlang der russisch-chinesischen Grenze getan habe, muss sich belehren lassen: Warnungen vor einer unkontrollierbaren, millionenfachen „Expansion“ Chinas gehören in den Bereich der politischen Spekulation. Nicht in Ulaanbaatar, nicht in anderen Teilen der Mongolei, nicht in den Grenzstädte Sibiriens oder des Fernen Ostens gibt es eine bemerkenswerte chinesische Überfremdung oder gar eine China Town. Es gibt keine stille Invasion, vielmehr erhebt sich die Frage, wem Spekulationen darüber nützen.

Regie: Musik

Tatsache ist, dass China wirtschaftlich expandiert: Eine boomende Wirtschaft, ein wachsendes internationales Handelsvolumen, der Beitritt zur WTO, sowie der sichtlich steigende private Wohlstand einer wachsenden Mittelschicht Chinas legen davon beredtes Zeugnis ab. China steht heute mit einem Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 8 – 10% an der Spitze der zehn Staaten am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften vor den USA, die den zweiten Platz belegen. Danach folgen Japan, Indien, Indonesien, Süd Korea, dann Deutschland. Danach Thailand als weiter asiatischer Staat.
Kurz: Unter Führung Chinas ist der asiatische Raum heute der am schnellsten wachsende Entwicklungsraum.. Chinesisches Kapital sucht Anlagemöglichkeiten. Zugleich wächst die Massenarbeitslosigkeit in China, die zu Migrationsströmen chinesischer „Gastarbeiter“ in die Nachbarländer führt. Mindestens 120 000 Millionen Wanderarbeiter ziehen heute auf der Suche nach Arbeit durchs China, neun Millionen neue Arbeitsplätze werden zudem jedes Jahr für die immer noch wachsende Bevölkerung benötigt. 1,25 Milliarden Einwohner Chinas stehen 21 Millionen im gesamten sibirischen und fern-östlichen russischen und 2,6 Millionen in der Mongolei gegenüber. Bei Fortsetzung der Ein-Kind-Ehe wird sich der Bevölkerungszuwachs der jetzt 1,25 Milliarden Menschen Chinas mit 1,50 Milliarden nicht vor 2050 stabilisiert haben.
Diese Tatsachen mobilisieren Ängste bei Chinas Nachbarn.

Regie: Musik

Die Analyse örtlicher Spezialisten, die zu den Migrationbewegungen an den chinesischen Grenzen arbeiten, zeigt jedoch, dass von einer Invasion nicht die Rede sein kann. Die Zahl der sich in den Gebieten des fernen Ostens Sibiriens offiziell aufhaltenden Chinesen hat sich nach vorübergehendem Anschwellen  auf ca. 750.000 im Jahre 1993 inzwischen auf den Stand von ca. 250.000 eingependelt. (Das sind gemessen an einer Bevölkerung Sibiriens und des fernen Ostens von 21 Millionen ca. ein Prozent, gemessen an der gesamten russischen Bevölkerung nicht einmal ein halbes Prozent, weit weniger als etwa Türken in Deutschland, die mit etwa 4 Millionen gut 5% der deutschen Bevölkerung ausmachen) In den Zahlen sind chinesische Touristen (ca. die Hälfte) mit enthalten; die große Mehrheit der übrigen Zugereisten rotiert zudem noch aus ökonomischen wie kulturellen Gründen, das heißt, die meisten chinesischen Gastarbeiter halten sich nur übergangsweise in den Gastländern auf, aus denen sie regelmäßig zu ihren Familien in China zurückkehren. Chinas wirtschaftliche Expansion hat bisher nicht zu einer massenhaften Invasion nach Sibirien und in den Fernen Osten geführt – weder chinesischen Kapitals noch chinesischer Arbeitskräfte. Im Gegenteil, nach Wiedereinführung des Visumzwanges Mitte der 90er ist die Zahl der Chinesen, die sich auf russischem Gebiet aufhalten, zurückgegangen.

Die Angaben von drei, vier oder mehr Millionen chinesischer Einwanderer in die westlichen Nachbarländer Chinas sind offenbar von Panik diktierte Hochrechnungen aus der Zeit direkt nach der Öffnung der Grenzen. Mehr noch, wird die Anwesenheit und die Aktivität der Chinesen auf russischem Boden von den örtlichen russischen Spezialisten zudem nicht als Gefahr, sondern als nützliche und sogar notwendige Bereicherung ihres Landes gesehen: Die chinesischen Billig-Waren ermöglichten der Bevölkerung zu Zeiten der Perestroika das Überleben; heute hat sich der Markt differenziert: „Nowi Russki“ decken sich mit Westwaren ein, Mitglieder der Mittelschichten kaufen auf dem russischen Markt (häufig übrigens chinesische Ware); aber die Mehrheit der Bevölkerung deckt die Grundbedürfnisse ihres täglichen Konsums immer noch über den chinesischen Markt. Weiter: Chinesische Gastarbeiter füllen die Lücken auf dem sibirischen, fernöstlichen und mongolischen Arbeitsmarkt – wesentlich in der Bauwirtschaft und im Agrarbereich; chinesische Investitionen halten sich im Rahmen langfristig geplanter staatlicher Kooperationsverträge bilateraler Art oder auch im Rahmen der Shanghai-Verträge. Mongolische Experten machen vergleichbare Angaben für die Mongolei.

Das „chinesische Problem“ besteht somit nicht in einer unkontrollierten Invasion unerwünschter chinesischer Migranten über die Grenzen der Nachbarländer,. Die Ein-Kind-Politik Chinas weist zudem darauf hin, dass China keine ungebremste Expansion seiner Bevölkerung will. Das Problem liegt zur Zeit vielmehr in der Überführung des illegalen Grenzverkehrs mafiotischen und räuberischen Charakters in legale wirtschaftliche Beziehungen mit China zum gegenseitigen Nutzen. Die gegenwärtige Situation nützt den Kräften, die Ressourcen des eigenen Landes – russische Wälder, mongolische Wolle, Felle, dazu Edelmetalle, Gas, Öl in großem Maßstab aus beiden Ländern illegal nach China verschieben, nützt denen, die an den Grenzkontrollen gewaltige Schmiergelder einstreichen, nützt den örtlichen Unternehmern, die ihre minderwertige Produktion, in die sie selbst nicht investieren, gegen die chinesische Konkurrenz abschotten wollen. Statt den notwendigen Austausch in der Region künstlich einzuschränken und in die Illegalität zu drängen, muss eine Politik, die an der Entwicklung des eigenen Landes interessiert ist, daher nicht auf Einschränkung der Verbindungen zu China, sondern eher auf den Bau von  Brücken über den Amur, von Bahnlinien, von Fern-Trassen, von Pipelines, kurz, auf den Ausbau einer kontrollierbaren ökonomischen und auch kulturellen Infrastruktur des Raumes zielen, wie es die Verträge von Shanghai vorsehen. Wie die Beziehungen zwischen China und seinen westlichen Nachbarn sich in Zukunft entwickeln, hängt davon ab, ob es der Politik gelingt, die zur Zeit durch mangelnde Rechtssicherheit illegalisierten Beziehungen in eine legale und offene Wirtschaftsentwicklung des Raumes zu überführen.

Regie: Musik

In diesem Rahmen kommt der Mongolei zwischen den Giganten China und Russland eine besondere Rolle als politisch stabilisierender und neutralisierender Faktor zu. Durch das Hinzutreten der Mongolei als neutraler Transitraum zwischen den Giganten Russland und China, aber auch Japan und Europa/Amerika, erhält die Dualität der chinesisch-russischen, wie auch generell der ost-westlichen Beziehungen den Impuls zur Entwicklung einer multipolaren Neuordnung des sibirisch-zentralasiatischen Raumes, das heißt auch zu einer echten Alternative gegenüber einer unipolaren Neuordnung internationaler Beziehungen und zu der bloß militärischen Lösung . In diesem Sinne ist die Mongolei auch eine Alternative zu Afghanistan.

Regie: Musik

Aus all diesen Gründen ist es unsinnig, von einer „chinesischen Gefahr“ zu sprechen; zu sprechen ist vielmehr von einer Chance zur multipolaren Entwicklung des zentralasiatisch-sibirische Raums, in dem China eine wichtige Rolle spielen kann. Die russische Politik hat dies klar erkannt. Nicht anders sind die programmatischen Worte Wladimir Putins zu verstehen, mit denen er sich kurz nach seiner Amtsübernahme per Internet einführte. Er erklärte seinerzeit, Russland müsse seine Interessen als euro-asiatisches Land wahrnehmen, indem es Beziehungen nach Westen/Europa wie nach Asien und in den Orient gleichermaßen entwickle. Diese Position hat er seitdem – aller scheinbaren West-Orientierung des „Deutschen im Kreml“ wiederholt und durch Besuche in Sibirien, dem Fernen Osten, China und seine Haltung zu Korea unterstrichen. Die multipolare Orientierung Russlands ist auch unter den Bedingungen der neuen Freundschaft mit den USA keineswegs aufgegeben, sondern wird weiter aktiv verfolgt. Als Präsident Bush nach dem 11. September in Moskau weilte, trafen sich in St. Petersburg die Mitglieder der Shanghai Organisation, um ihre Kooperation zu intensivieren und sich eine Charta zu geben.    Auch die europäische Politik ist sich der Bedeutung des nord-west-asiatischen Entwicklungsraumes bewusst und spricht, wenn sie von ihren Interessen spricht, so der deutsche Kanzler Schröder, von der Möglichkeit einer multipolaren Entwicklungschance.

Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, wem der Mythos von einer „chinesischen Gefahr“ nützt. Die Frage ist einfach zu beantworten: Er nützt allen den Kräften, die Interesse daran haben, die Entstehung einer wirtschaftlichen und politischen Alternative im sibirisch-asiatischen Raum, die den Keim einer multipolaren Ordnung in sich trägt, zu stören oder gar zu verhindern. Es ist die Ideologie einer möglichen Konfrontation. Ihr entgegenzutreten liegt im Interesse aller, die an einer friedlichen Entwicklung einer neuen Völkerordnung in Zentralasien und damit verbunden global interessiert sind.

Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de

Gibt es eine „stille Invasion“ über Chinas Westgrenzen in den sibirischen Raum und in die Mongolei? In der Öffentlichkeit, international wie auch in Russland, besonders in Moskau, sind solche Warnungen heute zu hören; von drei, vier, fünf und mehr Millionen Chinesen ist die Rede, die sich bereits auf russischem Territorium aufhielten, bereits eigene kommunale Strukturen entwickelt hätten etc. Auch die Mongolei wird angeblich von chinesischen Einwanderern überschwemmt. Wer diese Behauptungen vor Ort überprüft, wie ich es soeben in einer Forschungsreise in die Mongolei, nach Nord-China und entlang der russisch-chinesischen Grenze getan habe, muss sich belehren lassen: Warnungen vor einer unkontrollierbaren, millionenfachen „Expansion“ Chinas gehören in den Bereich der politischen Spekulation. Nicht in Ulaanbaatar, nicht in anderen Teilen der Mongolei, nicht in den Grenzstädte Sibiriens oder des Fernen Ostens gibt es eine bemerkenswerte chinesische Überfremdung oder gar eine China Town. Es gibt keine stille Invasion, vielmehr erhebt sich die Frage, wem Spekulationen darüber nützen.

Regie: Musik

Tatsache ist, dass China wirtschaftlich expandiert: Eine boomende Wirtschaft, ein wachsendes internationales Handelsvolumen, der Beitritt zur WTO, sowie der sichtlich steigende private Wohlstand einer wachsenden Mittelschicht Chinas legen davon beredtes Zeugnis ab. China steht heute mit einem Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 8 – 10% an der Spitze der zehn Staaten am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften vor den USA, die den zweiten Platz belegen. Danach folgen Japan, Indien, Indonesien, Süd Korea, dann Deutschland. Danach Thailand als weiter asiatischer Staat.
Kurz: Unter Führung Chinas ist der asiatische Raum heute der am schnellsten wachsende Entwicklungsraum.. Chinesisches Kapital sucht Anlagemöglichkeiten. Zugleich wächst die Massenarbeitslosigkeit in China, die zu Migrationsströmen chinesischer „Gastarbeiter“ in die Nachbarländer führt. Mindestens 120 000 Millionen Wanderarbeiter ziehen heute auf der Suche nach Arbeit durchs China, neun Millionen neue Arbeitsplätze werden zudem jedes Jahr für die immer noch wachsende Bevölkerung benötigt. 1,25 Milliarden Einwohner Chinas stehen 21 Millionen im gesamten sibirischen und fern-östlichen russischen und 2,6 Millionen in der Mongolei gegenüber. Bei Fortsetzung der Ein-Kind-Ehe wird sich der Bevölkerungszuwachs der jetzt 1,25 Milliarden Menschen Chinas mit 1,50 Milliarden nicht vor 2050 stabilisiert haben.
Diese Tatsachen mobilisieren Ängste bei Chinas Nachbarn.

Regie: Musik

Die Analyse örtlicher Spezialisten, die zu den Migrationbewegungen an den chinesischen Grenzen arbeiten, zeigt jedoch, dass von einer Invasion nicht die Rede sein kann. Die Zahl der sich in den Gebieten des fernen Ostens Sibiriens offiziell aufhaltenden Chinesen hat sich nach vorübergehendem Anschwellen  auf ca. 750.000 im Jahre 1993 inzwischen auf den Stand von ca. 250.000 eingependelt. (Das sind gemessen an einer Bevölkerung Sibiriens und des fernen Ostens von 21 Millionen ca. ein Prozent, gemessen an der gesamten russischen Bevölkerung nicht einmal ein halbes Prozent, weit weniger als etwa Türken in Deutschland, die mit etwa 4 Millionen gut 5% der deutschen Bevölkerung ausmachen) In den Zahlen sind chinesische Touristen (ca. die Hälfte) mit enthalten; die große Mehrheit der übrigen Zugereisten rotiert zudem noch aus ökonomischen wie kulturellen Gründen, das heißt, die meisten chinesischen Gastarbeiter halten sich nur übergangsweise in den Gastländern auf, aus denen sie regelmäßig zu ihren Familien in China zurückkehren. Chinas wirtschaftliche Expansion hat bisher nicht zu einer massenhaften Invasion nach Sibirien und in den Fernen Osten geführt – weder chinesischen Kapitals noch chinesischer Arbeitskräfte. Im Gegenteil, nach Wiedereinführung des Visumzwanges Mitte der 90er ist die Zahl der Chinesen, die sich auf russischem Gebiet aufhalten, zurückgegangen.

Die Angaben von drei, vier oder mehr Millionen chinesischer Einwanderer in die westlichen Nachbarländer Chinas sind offenbar von Panik diktierte Hochrechnungen aus der Zeit direkt nach der Öffnung der Grenzen. Mehr noch, wird die Anwesenheit und die Aktivität der Chinesen auf russischem Boden von den örtlichen russischen Spezialisten zudem nicht als Gefahr, sondern als nützliche und sogar notwendige Bereicherung ihres Landes gesehen: Die chinesischen Billig-Waren ermöglichten der Bevölkerung zu Zeiten der Perestroika das Überleben; heute hat sich der Markt differenziert: „Nowi Russki“ decken sich mit Westwaren ein, Mitglieder der Mittelschichten kaufen auf dem russischen Markt (häufig übrigens chinesische Ware); aber die Mehrheit der Bevölkerung deckt die Grundbedürfnisse ihres täglichen Konsums immer noch über den chinesischen Markt. Weiter: Chinesische Gastarbeiter füllen die Lücken auf dem sibirischen, fernöstlichen und mongolischen Arbeitsmarkt – wesentlich in der Bauwirtschaft und im Agrarbereich; chinesische Investitionen halten sich im Rahmen langfristig geplanter staatlicher Kooperationsverträge bilateraler Art oder auch im Rahmen der Shanghai-Verträge. Mongolische Experten machen vergleichbare Angaben für die Mongolei.

Das „chinesische Problem“ besteht somit nicht in einer unkontrollierten Invasion unerwünschter chinesischer Migranten über die Grenzen der Nachbarländer,. Die Ein-Kind-Politik Chinas weist zudem darauf hin, dass China keine ungebremste Expansion seiner Bevölkerung will. Das Problem liegt zur Zeit vielmehr in der Überführung des illegalen Grenzverkehrs mafiotischen und räuberischen Charakters in legale wirtschaftliche Beziehungen mit China zum gegenseitigen Nutzen. Die gegenwärtige Situation nützt den Kräften, die Ressourcen des eigenen Landes – russische Wälder, mongolische Wolle, Felle, dazu Edelmetalle, Gas, Öl in großem Maßstab aus beiden Ländern illegal nach China verschieben, nützt denen, die an den Grenzkontrollen gewaltige Schmiergelder einstreichen, nützt den örtlichen Unternehmern, die ihre minderwertige Produktion, in die sie selbst nicht investieren, gegen die chinesische Konkurrenz abschotten wollen. Statt den notwendigen Austausch in der Region künstlich einzuschränken und in die Illegalität zu drängen, muss eine Politik, die an der Entwicklung des eigenen Landes interessiert ist, daher nicht auf Einschränkung der Verbindungen zu China, sondern eher auf den Bau von  Brücken über den Amur, von Bahnlinien, von Fern-Trassen, von Pipelines, kurz, auf den Ausbau einer kontrollierbaren ökonomischen und auch kulturellen Infrastruktur des Raumes zielen, wie es die Verträge von Shanghai vorsehen. Wie die Beziehungen zwischen China und seinen westlichen Nachbarn sich in Zukunft entwickeln, hängt davon ab, ob es der Politik gelingt, die zur Zeit durch mangelnde Rechtssicherheit illegalisierten Beziehungen in eine legale und offene Wirtschaftsentwicklung des Raumes zu überführen.

Regie: Musik

In diesem Rahmen kommt der Mongolei zwischen den Giganten China und Russland eine besondere Rolle als politisch stabilisierender und neutralisierender Faktor zu. Durch das Hinzutreten der Mongolei als neutraler Transitraum zwischen den Giganten Russland und China, aber auch Japan und Europa/Amerika, erhält die Dualität der chinesisch-russischen, wie auch generell der ost-westlichen Beziehungen den Impuls zur Entwicklung einer multipolaren Neuordnung des sibirisch-zentralasiatischen Raumes, das heißt auch zu einer echten Alternative gegenüber einer unipolaren Neuordnung internationaler Beziehungen und zu der bloß militärischen Lösung . In diesem Sinne ist die Mongolei auch eine Alternative zu Afghanistan.

Regie: Musik

Aus all diesen Gründen ist es unsinnig, von einer „chinesischen Gefahr“ zu sprechen; zu sprechen ist vielmehr von einer Chance zur multipolaren Entwicklung des zentralasiatisch-sibirische Raums, in dem China eine wichtige Rolle spielen kann. Die russische Politik hat dies klar erkannt. Nicht anders sind die programmatischen Worte Wladimir Putins zu verstehen, mit denen er sich kurz nach seiner Amtsübernahme per Internet einführte. Er erklärte seinerzeit, Russland müsse seine Interessen als euro-asiatisches Land wahrnehmen, indem es Beziehungen nach Westen/Europa wie nach Asien und in den Orient gleichermaßen entwickle. Diese Position hat er seitdem – aller scheinbaren West-Orientierung des „Deutschen im Kreml“ wiederholt und durch Besuche in Sibirien, dem Fernen Osten, China und seine Haltung zu Korea unterstrichen. Die multipolare Orientierung Russlands ist auch unter den Bedingungen der neuen Freundschaft mit den USA keineswegs aufgegeben, sondern wird weiter aktiv verfolgt. Als Präsident Bush nach dem 11. September in Moskau weilte, trafen sich in St. Petersburg die Mitglieder der Shanghai Organisation, um ihre Kooperation zu intensivieren und sich eine Charta zu geben.    Auch die europäische Politik ist sich der Bedeutung des nord-west-asiatischen Entwicklungsraumes bewusst und spricht, wenn sie von ihren Interessen spricht, so der deutsche Kanzler Schröder, von der Möglichkeit einer multipolaren Entwicklungschance.

Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, wem der Mythos von einer „chinesischen Gefahr“ nützt. Die Frage ist einfach zu beantworten: Er nützt allen den Kräften, die Interesse daran haben, die Entstehung einer wirtschaftlichen und politischen Alternative im sibirisch-asiatischen Raum, die den Keim einer multipolaren Ordnung in sich trägt, zu stören oder gar zu verhindern. Es ist die Ideologie einer möglichen Konfrontation. Ihr entgegenzutreten liegt im Interesse aller, die an einer friedlichen Entwicklung einer neuen Völkerordnung in Zentralasien und damit verbunden global interessiert sind.

Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de

Kai Ehlers. Publizist, www.kai-ehlers.de, info@kai-ehlers.de
D- 22147 Rummelsburgerstr. 78, Tel./Fax: 040/64789791, Mobiltel: 0170/2732482
© Kai Ehlers, Abdruck gegen Honorar, Kto: 1230/455980, BlZ: 20050550
Mein Zeichen: 0210Thesen für IMO                      Datum: Mittwoch, 2. Oktober 2002

Essay:
Stille Invasion an Chinas Grenzen?
Beobachtungen zur „chinesischen Frage“.

Gibt es eine „stille Invasion“ über Chinas Westgrenzen in den sibirischen Raum und in die Mongolei? In der Öffentlichkeit, international wie auch in Russland, besonders in Moskau, sind solche Warnungen heute zu hören; von drei, vier, fünf und mehr Millionen Chinesen ist die Rede, die sich bereits auf russischem Territorium aufhielten, bereits eigene kommunale Strukturen entwickelt hätten etc. Auch die Mongolei wird angeblich von chinesischen Einwanderern überschwemmt. Wer diese Behauptungen vor Ort überprüft, wie ich es soeben in einer Forschungsreise in die Mongolei, nach Nord-China und entlang der russisch-chinesischen Grenze getan habe, muss sich belehren lassen: Warnungen vor einer unkontrollierbaren, millionenfachen „Expansion“ Chinas gehören in den Bereich der politischen Spekulation. Nicht in Ulaanbaatar, nicht in anderen Teilen der Mongolei, nicht in den Grenzstädte Sibiriens oder des Fernen Ostens gibt es eine bemerkenswerte chinesische Überfremdung oder gar eine China Town. Es gibt keine stille Invasion, vielmehr erhebt sich die Frage, wem Spekulationen darüber nützen.

Regie: Musik

Tatsache ist, dass China wirtschaftlich expandiert: Eine boomende Wirtschaft, ein wachsendes internationales Handelsvolumen, der Beitritt zur WTO, sowie der sichtlich steigende private Wohlstand einer wachsenden Mittelschicht Chinas legen davon beredtes Zeugnis ab. China steht heute mit einem Wirtschaftswachstum von durchschnittlich 8 – 10% an der Spitze der zehn Staaten am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften vor den USA, die den zweiten Platz belegen. Danach folgen Japan, Indien, Indonesien, Süd Korea, dann Deutschland. Danach Thailand als weiter asiatischer Staat.
Kurz: Unter Führung Chinas ist der asiatische Raum heute der am schnellsten wachsende Entwicklungsraum.. Chinesisches Kapital sucht Anlagemöglichkeiten. Zugleich wächst die Massenarbeitslosigkeit in China, die zu Migrationsströmen chinesischer „Gastarbeiter“ in die Nachbarländer führt. Mindestens 120 000 Millionen Wanderarbeiter ziehen heute auf der Suche nach Arbeit durchs China, neun Millionen neue Arbeitsplätze werden zudem jedes Jahr für die immer noch wachsende Bevölkerung benötigt. 1,25 Milliarden Einwohner Chinas stehen 21 Millionen im gesamten sibirischen und fern-östlichen russischen und 2,6 Millionen in der Mongolei gegenüber. Bei Fortsetzung der Ein-Kind-Ehe wird sich der Bevölkerungszuwachs der jetzt 1,25 Milliarden Menschen Chinas mit 1,50 Milliarden nicht vor 2050 stabilisiert haben.
Diese Tatsachen mobilisieren Ängste bei Chinas Nachbarn.

Regie: Musik

Die Analyse örtlicher Spezialisten, die zu den Migrationbewegungen an den chinesischen Grenzen arbeiten, zeigt jedoch, dass von einer Invasion nicht die Rede sein kann. Die Zahl der sich in den Gebieten des fernen Ostens Sibiriens offiziell aufhaltenden Chinesen hat sich nach vorübergehendem Anschwellen  auf ca. 750.000 im Jahre 1993 inzwischen auf den Stand von ca. 250.000 eingependelt. (Das sind gemessen an einer Bevölkerung Sibiriens und des fernen Ostens von 21 Millionen ca. ein Prozent, gemessen an der gesamten russischen Bevölkerung nicht einmal ein halbes Prozent, weit weniger als etwa Türken in Deutschland, die mit etwa 4 Millionen gut 5% der deutschen Bevölkerung ausmachen) In den Zahlen sind chinesische Touristen (ca. die Hälfte) mit enthalten; die große Mehrheit der übrigen Zugereisten rotiert zudem noch aus ökonomischen wie kulturellen Gründen, das heißt, die meisten chinesischen Gastarbeiter halten sich nur übergangsweise in den Gastländern auf, aus denen sie regelmäßig zu ihren Familien in China zurückkehren. Chinas wirtschaftliche Expansion hat bisher nicht zu einer massenhaften Invasion nach Sibirien und in den Fernen Osten geführt – weder chinesischen Kapitals noch chinesischer Arbeitskräfte. Im Gegenteil, nach Wiedereinführung des Visumzwanges Mitte der 90er ist die Zahl der Chinesen, die sich auf russischem Gebiet aufhalten, zurückgegangen.

Die Angaben von drei, vier oder mehr Millionen chinesischer Einwanderer in die westlichen Nachbarländer Chinas sind offenbar von Panik diktierte Hochrechnungen aus der Zeit direkt nach der Öffnung der Grenzen. Mehr noch, wird die Anwesenheit und die Aktivität der Chinesen auf russischem Boden von den örtlichen russischen Spezialisten zudem nicht als Gefahr, sondern als nützliche und sogar notwendige Bereicherung ihres Landes gesehen: Die chinesischen Billig-Waren ermöglichten der Bevölkerung zu Zeiten der Perestroika das Überleben; heute hat sich der Markt differenziert: „Nowi Russki“ decken sich mit Westwaren ein, Mitglieder der Mittelschichten kaufen auf dem russischen Markt (häufig übrigens chinesische Ware); aber die Mehrheit der Bevölkerung deckt die Grundbedürfnisse ihres täglichen Konsums immer noch über den chinesischen Markt. Weiter: Chinesische Gastarbeiter füllen die Lücken auf dem sibirischen, fernöstlichen und mongolischen Arbeitsmarkt – wesentlich in der Bauwirtschaft und im Agrarbereich; chinesische Investitionen halten sich im Rahmen langfristig geplanter staatlicher Kooperationsverträge bilateraler Art oder auch im Rahmen der Shanghai-Verträge. Mongolische Experten machen vergleichbare Angaben für die Mongolei.

Das „chinesische Problem“ besteht somit nicht in einer unkontrollierten Invasion unerwünschter chinesischer Migranten über die Grenzen der Nachbarländer,. Die Ein-Kind-Politik Chinas weist zudem darauf hin, dass China keine ungebremste Expansion seiner Bevölkerung will. Das Problem liegt zur Zeit vielmehr in der Überführung des illegalen Grenzverkehrs mafiotischen und räuberischen Charakters in legale wirtschaftliche Beziehungen mit China zum gegenseitigen Nutzen. Die gegenwärtige Situation nützt den Kräften, die Ressourcen des eigenen Landes – russische Wälder, mongolische Wolle, Felle, dazu Edelmetalle, Gas, Öl in großem Maßstab aus beiden Ländern illegal nach China verschieben, nützt denen, die an den Grenzkontrollen gewaltige Schmiergelder einstreichen, nützt den örtlichen Unternehmern, die ihre minderwertige Produktion, in die sie selbst nicht investieren, gegen die chinesische Konkurrenz abschotten wollen. Statt den notwendigen Austausch in der Region künstlich einzuschränken und in die Illegalität zu drängen, muss eine Politik, die an der Entwicklung des eigenen Landes interessiert ist, daher nicht auf Einschränkung der Verbindungen zu China, sondern eher auf den Bau von  Brücken über den Amur, von Bahnlinien, von Fern-Trassen, von Pipelines, kurz, auf den Ausbau einer kontrollierbaren ökonomischen und auch kulturellen Infrastruktur des Raumes zielen, wie es die Verträge von Shanghai vorsehen. Wie die Beziehungen zwischen China und seinen westlichen Nachbarn sich in Zukunft entwickeln, hängt davon ab, ob es der Politik gelingt, die zur Zeit durch mangelnde Rechtssicherheit illegalisierten Beziehungen in eine legale und offene Wirtschaftsentwicklung des Raumes zu überführen.

Regie: Musik

In diesem Rahmen kommt der Mongolei zwischen den Giganten China und Russland eine besondere Rolle als politisch stabilisierender und neutralisierender Faktor zu. Durch das Hinzutreten der Mongolei als neutraler Transitraum zwischen den Giganten Russland und China, aber auch Japan und Europa/Amerika, erhält die Dualität der chinesisch-russischen, wie auch generell der ost-westlichen Beziehungen den Impuls zur Entwicklung einer multipolaren Neuordnung des sibirisch-zentralasiatischen Raumes, das heißt auch zu einer echten Alternative gegenüber einer unipolaren Neuordnung internationaler Beziehungen und zu der bloß militärischen Lösung . In diesem Sinne ist die Mongolei auch eine Alternative zu Afghanistan.

Regie: Musik

Aus all diesen Gründen ist es unsinnig, von einer „chinesischen Gefahr“ zu sprechen; zu sprechen ist vielmehr von einer Chance zur multipolaren Entwicklung des zentralasiatisch-sibirische Raums, in dem China eine wichtige Rolle spielen kann. Die russische Politik hat dies klar erkannt. Nicht anders sind die programmatischen Worte Wladimir Putins zu verstehen, mit denen er sich kurz nach seiner Amtsübernahme per Internet einführte. Er erklärte seinerzeit, Russland müsse seine Interessen als euro-asiatisches Land wahrnehmen, indem es Beziehungen nach Westen/Europa wie nach Asien und in den Orient gleichermaßen entwickle. Diese Position hat er seitdem – aller scheinbaren West-Orientierung des „Deutschen im Kreml“ wiederholt und durch Besuche in Sibirien, dem Fernen Osten, China und seine Haltung zu Korea unterstrichen. Die multipolare Orientierung Russlands ist auch unter den Bedingungen der neuen Freundschaft mit den USA keineswegs aufgegeben, sondern wird weiter aktiv verfolgt. Als Präsident Bush nach dem 11. September in Moskau weilte, trafen sich in St. Petersburg die Mitglieder der Shanghai Organisation, um ihre Kooperation zu intensivieren und sich eine Charta zu geben.    Auch die europäische Politik ist sich der Bedeutung des nord-west-asiatischen Entwicklungsraumes bewusst und spricht, wenn sie von ihren Interessen spricht, so der deutsche Kanzler Schröder, von der Möglichkeit einer multipolaren Entwicklungschance.

Unter diesen Umständen stellt sich die Frage, wem der Mythos von einer „chinesischen Gefahr“ nützt. Die Frage ist einfach zu beantworten: Er nützt allen den Kräften, die Interesse daran haben, die Entstehung einer wirtschaftlichen und politischen Alternative im sibirisch-asiatischen Raum, die den Keim einer multipolaren Ordnung in sich trägt, zu stören oder gar zu verhindern. Es ist die Ideologie einer möglichen Konfrontation. Ihr entgegenzutreten liegt im Interesse aller, die an einer friedlichen Entwicklung einer neuen Völkerordnung in Zentralasien und damit verbunden global interessiert sind.

Kai Ehlers
www.kai-ehlers.de

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