Merkwürdig ist es schon, was da gegenwärtig aus NATO-Kreisen in die Öffentlichkeit dringt: Endlich hat man Russland so weit, dass es bereit ist, als zwanzigstes Mitglied ins Boot der NATO mit einzusteigen, da kommen Klagen aus Washington wie aus den europäischen Hauptstädten: Die Amerikaner befürchten eine Lähmung der Entscheidungsfähigkeit der NATO-Gremien, die Europäer, allen voran die Deutschen sehen die Gefahr, dass Moskau und Washington in einer Art, wie sie es nennen, Doppeldominanz die europäischen Mitglieder des Bündnisses erdrücken könnten. Kurz, die einen wie die anderen sehen den Wert des Bündnisses durch Russlands stärkere Einbindung schwinden.
Russlands Präsident Wladimir Putin dagegen erklärt nach wie vor unbeirrt, was er im März 2000 erstmalig im englischen BBC der Öffentlichkeit preisgab, nämlich, dass er sich eine Mitgliedschaft Russlands in der NATO sehr gut vorstellen könne, vorausgesetzt dies bedeute eine engere Anbindung seines Landes an Europa und – seit dem 11.9. 2001- eine gemeinsame Bekämpfung des Terrorismus.
Das neue Gremium, der NATO-Kooperations-Rat, der beim Gipfeltreffen am 28. Mai in Rom gegründet werden wird, soll sich u.a. mit dem Kampf gegen Terrorismus und der Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen befassen. Russland soll in dem neuen Gremium in Zukunft all diese politischen Fragen als gleichberechtigtes Mitglied mit beraten können, ohne wie im NATO-Russland-Rat bisher nur mit fertigen Beschlüssen konfrontiert zu werden. Interne Angelegenheiten beider Seiten sollen allerdings weiterhin von der Beratung ausgenommen sein; eine „Rückholklausel“ erlaubt außerdem, Themen, zu denen keine Einigkeit erzielt werden kann, in das eigentliche Entscheidungsgremium, den NATO-Rat zurückzuholen. Ein Vetorecht, das betonen amerikanische wie europäische NATO-Diplomaten, werde man Russland weder direkt noch indirekt zugestehen.
Viel ändert sich also nicht gegenüber dem seit 1997 bestehenden NATO-Russland-Rat, der den Russen letztlich nur ein Informationsrecht zugestand; wenn´s ans Eingemachte geht, bleibt Russland nach wie vor außen vor. NATO-Sprecher erklären den neuen Kooperations-Rat denn auch vor allem als ein Entgegenkommen des Bündnisses an den russischen Präsidenten. Dieser brauche bei seinem Militär vorzeigbare Gegenleistungen für die offene Haltung, die er dem Westen gegenüber in der „Allianz gegen den Terror“ einnehme und bei der von der NATO angestrebten und für den Herbst bevorstehenden zweiten Erweiterungsrunde der NATO. In ihr ist eine Aufnahme der baltischen Staaten sowie evtl. Bulgariens, Rumäniens und der Slowakei vorgesehen, ohne dass Wladimir Putin intervenierte. Auch Kritik an NATO-Aktivitäten in Georgien wiegelte er ab. Dafür muss die NATO ihn honorieren.
Der russische Außenminister Igor Iwanow nannte den neuen NATO-Kooperations-Rat im staatlichen russischen Fernsehen schon „eine neue Stufe der Beziehungen beider Seiten“. Das ist zum einen natürlich eine taktische Argumentation gegenüber den konservativen, anti-westlichen Kräften in der Duma, in der Armee und in der Verwaltungsbürokratie, die Russland an den Westen ausverkauft und von der NATO eingekreist sehen. Diese Kräfte orientieren nach dem vorübergehenden Flirt Boris Jelzins mit der NATO Anfang der 90er heute auf eine Restauration Russlands als euroasiatische Zentralmacht, die ihre „natürlichen Einflusszonen“ im „nahen Ausland“ der GUS-Staaten, im Kaukasus ebenso wie in Ost-Europa wieder aufbauen müsse. Die NATO ist ihr Gegner. Diesen Kräften kann Wladimir Putin die neue Entwicklung als Anerkennung der wiedergewonnenen Stärke Russlands und als Schritt in Richtung einer möglichen Neutralisierung der NATO verkaufen.
Darüber hinaus gibt der „war against terrorism“, in dem die USA allen Weltmacht-Ansprüchen zum Trotz auf Hilfe der Weltgemeinschaft angewiesen sind, Russland – wie Wladimir Putins es offenbar sieht – die Chance, sich aus der Umklammerung der NATO zu befreien, indem es sich an der Transformation der NATO von einem atlantischen Verteidigungsbündnis gegen die Sowjetunion zu einem euro-asiatischen Bündnis unter Einschluss Russlands beteiligt.
Nicht zu Unrecht hatte deshalb Zbigniew Brzezinski schon gleich nach dem 11.9. 2001 Alarm geschlagen. Wenige Tage vor dem Herbsttreffen der NATO-Außenminister sprach er sich seinerzeit im „Wallstreet Journal“ für eine sorgfältige Prüfung der Vorschläge für den neuen Kooperations-Rat aus. Die klare Trennungslinie zwischen einer im Einvernehmen der Bündnispartner getroffenen Entscheidung und gemeinsamen Beratungen oder Beschlüssen mit Russland dürfe nicht verwischt werden, warnte er, denn wenn Russland am Meinungsaustausch der NATO-Mitgliedsländer unmittelbar beteiligt sei, erhalte es die Möglichkeit, deren Differenzen gegeneinander auszuspielen, bevor in der NATO ein Konsens erreicht sei. Damit drohe die NATO zu einer Organisation wie die OSZE degradiert zu werden. Anders ausgedrückt und direkt auf Brzezinskis Schrift „Die einzige Weltmacht“ * zurückgegriffen, drohe die NATO damit ihre Funktion als westlicher Brückenkopf US-amerikanischer Vorherrschaft auf dem euro-asiatischen Kontinent einzubüßen, während Russland seinen Einfluss auf Europa stärken könne.
Weniger begründet erscheinen die europäischen Ängste, die eine amerikanisch-russische Dominanz in der zukünftigen NATO befürchten. US-amerikanische Geopolitik, die gegenwärtig voll auf die Kontrolle Euro-Asiens orientiert ist, und insbesondere auf das, was Brzezinski das „schwarze Loch Russland“ nennt, ist ohne Europa im Westen nicht denkbar, so wenig wie ohne Japan und Süd-Korea im Osten. Befürchtungen des deutschen Außenministers Joseph Fischer, die in diese Richtung gehen, sind wohl eher unter der Rubrik „Klappern gehört zum Handwerk“ zu verbuchen. Die neue Lage gibt eine gute Gelegenheit, die Europäer zu mehr Geschlossenheit aufzufordern – gegenüber Russland ebenso wie gegenüber den USA.
* Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Fischer Tb
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