Amerikas zentrales geostrategisches Ziel in Europa lasse sich ganz einfach zusammenfassen, schreibt US-Alt-Stratege Zbigniew Brzezinski in seinem Buch „Die einzige Weltmacht“. Durch eine glaubwürdigere transatlantische Partnerschaft müsse der „Brückenkopf der USA auf dem eurasischen Kontinent so gefestigt werden, daß ein wachsendes Europa ein brauchbares Sprungbrett werden“ könne, von dem aus sich eine „internationale Ordnung der Demokratie und Zusammenarbeit nach Eurasien hinein ausbreiten“ lasse.
Langfristig, fährt Brzezinski unter der Überschrift, „Das schwarze Loch“ fort, bleibe „dabei jedoch das Problem zu lösen, wie man Russlands Demokratisierung und wirtschaftliche Erholung unterstützen und dabei das erneute Entstehen eines eurasischen Imperiums vermeiden“ könne.
Nachdem er ein mögliches Bündnis zwischen Russland, China und dem Iran als „Dritte-Welt-Gruppierung“ klassifiziert hat, die außer „anti-hegemonialer Aggression“ nichts verbinde und bei der keines ihrer Mitglieder gewinnen könne, vor allem China seine „enormen Investitionszuflüsse aufs Spiel setzen“ würde, kommt er zu dem Schluß: „Russlands einzige geostrategische Option ist Europa. Und zwar nicht irgendein Europa, sondern das transatlantische Europa einer erweiterten EU und NATO“ – transatlantisch, das heißt: unter Führung der USA.
Damit sind die geostrategischen Optionen der USA beschrieben, denen auch G.W. Bush folgt: Sicherung der Weltherrschaft der USA durch die Kontrolle Euroasiens von den „Brückenköpfen“ Europa und Ostasien aus, das sind Japan, Korea, Taiwan. Nicht in allem war Alt-Stratege Brzezinski im letzten Jahr zufrieden mit seinem neuen Präsidenten. Dessen gegenwärtige Europa-Reise jedoch, die Paris, Berlin und Moskau demonstrativ auf einer Tour miteinander verbindet, ist ganz in Brzezinskis Sinne: Zunächst gilt es den Europäern klar zu machen, dass die USA nach wie vor „unverbrüchlich an ihrer Seite“ stehen, wenn es um die Durchsetzung der EU- und NATO-Osterweiterung geht, nachdem die Alleingänge der USA seit dem 11.9. 2001, einen gegenteiligen Eindruck bei ihren europäischen Partnern hinterließen. So gestärkt gilt es dann, die Russen davon zu überzeugen, dass sie ohne „Einbindung“ in die so gefestigte atlantisch-europäische „Sicherheitsarchitektur“, sprich NATO und EU, auf Dauer ein „Schwarze Loch“ zu bleiben drohen. Am vorläufigen Ende dieser Reise steht, wenn G.W. Bush alles richtig macht, was Amerikas neue Größe als „einzige übriggebliebene Weltmacht“ von ihm verlangt, dass Europäer wie Russen den von den USA bereits im Alleingang geplanten Krieg gegen den IRAK – wenn schon nicht direkt unterstützen – so doch mindestens tolerieren.
Manche Kommentatoren sprechen schon von einem neuen Typ amerikanischer Außenpolitik, für die das Bild „Nabe und Spreichen“ passend sei: Amerika die Nabe, Europa, Russland, China, Japan, Israel, Saudi Arabien usw. die Speichen, mit deren Hillfe Washington nach Belieben bilateral für Stabilität sorgen kann, ohne daß sich eine der „Regionalmächte“ oder eine Gruppe imstande wäre, die Vorherrschaft der USA in Frage zu stellen.
Aber so einfach regeln sich die Dinge vielleicht doch nicht: Bei den laufenden Verhandlungen über Abrüstung gab Washington jetzt zwar plötzlich seine harte Linie auf und stimmte einem bindenden Abkommen zur Reduzierung der strategischen Nuklearstreitkräfte zu, ganz so wie Wladimir Putin es gefordert hatte: Der Bestand soll von derzeit 6000 Sprengköpfen soll auf 1700 bis 2200 reduziert werden.
Das wird als großes Zugeständnis herausposaunt. Bei genauem Hinsehen ist das Abkommen jedoch eine Farce, denn eine Vernichtung der ausgemusterten Sprengköpfe ist nicht vorgesehen. Washingtons Pläne eines nationalen Raketenabwehrschirms sind nicht vom Tisch, ebenso wenig wie die von der USA beabsichtigte Entwicklung von Mini-Atombomben für den taktischen Einsatz.
US-Vize-Außenminster Armitage unterzeichnete mit Russland ein Anti-Terror-Abkommen, in dem die USA zusichern, dass die Präsenz ihres Militärs in Zentralasien nur von begrenzter Dauer sei. Das glaube, wer mag – niemand, der die geostrategischen Entwürfe Brzezinskis kennt und die Politik der USA seit dem Ende der Sowjetunion verfolgt hat, wird von einem freiwilligen Rückzug der Amerikaner ausgehen – schon gar nicht russische Militärs. Ebenso wenig wird Russland auf seine zentralasiatischen Optionen verzichten. Wenn Russland stillhält, dann aus der Erwägung, daß man zur Zeit schwach ist und sich die Amerikaner an ihrer Expansion überheben werden. Später wird man weitersehen. Zukünftige Konflikte sind programmiert.
Stark waren auch die Versprechungen, die man dem russischen Ministerpräsidenten Kassianow bei seiner letzten Visite in den USA machte: Unterstützung der russischen Beitrittswünsche zur Welthandelsorganisation (WTO), Investitionen von US-Kapital in Russland und vielleicht sogar Ölkäufe in Verbindung mit einer Regelung sowjetischer Altschulden. Einige US-Strategen scheinen zu glauben, sie könnten die notleidenden Russen kaufen. Festzuhalten ist aber, dass Wladimir Putin soeben eine Senkung der Ölpreise verordnet hat; das heißt, man ist gut im Geschäft. Zu beobachten ist auch, daß die Importzölle auf Stahl, mit denen die Regierung Bush ihre angeschlagene Wirtschaft zu stärken hofft, faktisch zu einer Ankurbelung der russischen Produktion führen. Das ist ein ähnlicher Effekt wie ihn 1998 der große russische Bankenkrach hatte, in dessen Gefolge sich – welches Wunder – der heimische Markt wieder entwickelte. Einfach weil es keine Kredite vom IWF mehr und keine Alternative gab.
Auch in Sachen NATO ist nicht alles so wie es scheint: Beim Gipfeltreffen in Rom am 28. Mai soll zwar der bisherige NATO-Russland-Rat durch einen neuen NATO-Kooperations-Rat ersetzt werden, in dem Russland zukünftig gleichberechtigtes Mitglied sein wird, ohne wie im NATO-Russland-Rat bisher nur mit fertigen Beschlüssen konfrontiert zu werden.
Von einem „Durchbruch“ zu einer „neuen Ära der Beziehungen“ ist die Rede; tatsächlich sollen interne Angelegenheiten weiterhin von der Beratung ausgenommen sein; eine „Rückholklausel“ erlaubt außerdem, Themen, zu denen keine Einigkeit erzielt werden kann, in das eigentliche Entscheidungsgremium, den NATO-Rat zurückzuholen.
Ein Vetorecht, das betonen amerikanische wie europäische NATO-Diplomaten, werde man Russland aber weder direkt noch indirekt zugestehen. Wenn´s ans Eingemachte geht, bleibt Russland nach wie vor außen vor.
NATO-Sprecher erklären den neuen Kooperations-Rat denn auch vor allem als ein Entgegenkommen des Bündnisses an den russischen Präsidenten. Dieser brauche bei seinem Militär vorzeigbare Gegenleistungen für die offene Haltung, die er dem Westen gegenüber in der „Allianz gegen den Terror“ einnehme und bei der von der NATO angestrebten und für den Herbst bevorstehenden zweiten Erweiterungsrunde der NATO. Kurz, alle Versicherungen der Westbindung Russlands und der atlantischen Treue Europas ändern nichts daran, dass Russland als euroasiatisches Herzland zwischen Europa und Asien steht, speziell China, so wie Europa seinen Platz zwischen Russland, China und Amerika finden muss. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Interessen sind auf Dauer nicht wegzukaufen und auch mit Worten nicht zu verdecken.
* Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Fischer Tb
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