Das Ende von TW-6 Putins erster sichtbarer Fehler?

Wladimir Putin, Meister asiatischer Kampfkunst, hat sich der Auseinandersetzung mit seinen innenpolitischen Gegnern bis vor kurzem keine erkennbaren Fehler erlaubt: herauslocken, täuschen, drohen, ausweichen, lächeln – das waren die Manöver, die ihn von einem Mr. Nobody zum Führer der autoritären Modernisierung aufsteigen ließen, welche gegenwärtig Russland bestimmt.
Den letzten Erfolg dieser Art erzielte der Präsident im Juni letzten Jahres, als er den zum Symbol des Widerstands gegen die von ihm betriebene Politik gewordenen Fernsehsender NTW nahezu widerstandslos auf die Matte legte, ohne selbst dabei das Gesicht verziehen zu müssen.
Dieses Mal, bei der kürzlich von Putins Minister für Information, Michail Lesin, vorgenommenen Abschaltung des letzten verbliebenen Privatsenders im TV-Bereich, TW-6, wohin sich die geschasste Mannschaft von NTW geflüchtet hatte, könnte er selbst zum ersten Mal auf die Matte gehen, zumindest aber einen Gesichtsverlust als fairer Kämpfer erleiden, dem es angeblich nur um den Rechtsstaat gehe.
Das Prozedere war zwar das Gleiche wie seinerzeit beim NTW: Wirtschaftliche Gründe mussten herhalten, um einen Gerichtsbeschluss gegen den Sender zu erwirken. Wie sich vor einem halben Jahr der halbstaatliche Gas-Gigant GAZPROM fand, um dieses Interesse an NTW zu exekutieren, so fand sich dieses mal die mit dem Kreml politisch auf Du stehende LUKOIL. Wie sich Wladimir Putin seinerzeit für die Unabhängigkeit von NTW aussprach, ja, dessen ausgezeichnete Arbeit lobte, so lobte er auch jetzt die Mannschaft von TW-6 – nur leider, so Wladimir Putin, könne er den Gerichten nicht in den Arm fallen.
Hatte dieses Manöver im Falle von NTW noch die Tatsachen für sich, dass NTW-Eigentümer Wladimir Gussinski effektiv die von GAZPROM geforderten Kredite nicht zurück zahlen konnte, so trifft die Begründung von LUKOIL, TW-6 häufe nur Schulden an, und müsse daher geschlossen werden, einen Sender, der unter der neuen Leitung der ehemaligen NTW-Redaktion eben gerade erkennbar in Gewinnzonen steuerte: TW-6, bis dahin ein Jugendsender, wurde seit dem Einstieg der NTW-Mannschaft konsequent umgestaltet. Seit September lag der Schwerpunkt auf Nachrichten, analytischen Sendungen, Talk zu gesellschaftlichen Fragen und aktuelleren Fernsehfilmen. Damit konnte TW-6 seinen Marktanteil seit Mai 2001 verdoppeln.
Mit einer russischen Variante von „Big Brother“ kam der Sender jetzt sogar auf einen Marktanteil von 30%. Hauptanteilseigner Wladimir Beresowki konnte sich bereits Hoffnungen hingeben, den Sender zu einer eigenen Einnahmequelle zu machen, statt ihn wie bisher alle seine Medien-Unternehmen finanzieren zu müssen. Der Erfolgsrausch um TW-6 geht soweit, dass die Betreiber des aktuell laufenden „Big Brother“- Projektes trotz der Schließung des Senders entschieden weiterzumachen, bis TW-6, so ihre Hoffnung, bei den für den 27. März dieses Jahres anstehenden Neuausschreibungen der Sende-Lizenz als Zusammenschluss der Journalisten unter dem Namen „OOO-TW.6“ wieder auferstehe.
Der Vorgang ist ernst: Erstmalig kann sich die Staatsmacht nicht mehr hinter wirtschaftlichen Fragen, nicht mehr hinter einer öffentlichkeitswirksamen Bestrafung von kriminellen Gewinnern der Privatisierung wie noch im Falle NTW, hinter dem notwenigen Kampf gegen Korruption und dergl. verstecken; die Schließung des soeben prosperierenden TW-6 ist eindeutig ein politisch motivierter Akt, der dessen wirtschaftlichen Erfolg sogar aus politischen Motiven untergräbt, und wird entsprechend wahrgenommen.
Hinter dem Lächeln Wladimir Putins wird die Offensive, hinter der von ihm angekündigten „Diktatur der Gesetze“ werden die Gesetze der Diktatur erkennbar. Es ist keine klassische Diktatur, nicht einmal offene Zensur. Es ist überhaupt zweifelhaft, ob Begriffe wie „Diktatur“ oder „Faschismus“, die jetzt von einigen russischen, mit Vorliebe aber in ausländischen Blättern vorgebracht werden, die Realität des heutigen Russland treffen.
Schon von Pressefreiheit zu sprechen, wenn es um Russland gehe, so Alexei Simonow vom Moskauer „Fond zum Schutz von Glasnost“, müsse man als Irreführung bezeichnen. Solange TV-Sender, Rundfunk oder Presse in Russland sich nicht durch eigene Arbeit finanzierten, sondern von Sponsoren, seien es Firmen, sei es der Staat, unterhalten würden, könne nur von Pluralismus abhängiger Redaktionen die Rede sein. Nicht „Einschränkung von Pressefreiheit“, so Alexej Simonow, sondern „käuflicher Journalismus“, der zu privaten Zwecken missbraucht werde, sei daher Russlands Problem. „Verteidigung von Pressefreiheit“, so Simonow, das heiße in Russland heute in erster Linie Erhöhung journalistischer Professionalität bis zur Schaffung wirtschaftlicher Selbstständigkeit der Sender, Verlage und Redaktionen.
Diese Einschätzung formulierte Russlands bekanntester Glasnost-Schützer am Ende der Ära Jelzin. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, worin das Wesen der Putinschen Pressepolitik liegt: Sie zielt nicht darauf, eine freie Presse abhängig zu machen, sondern darauf, das Gewicht der vorhandenen Abhängigkeiten zugunsten der zentralen Staatsmacht neu zu verteilen.
Wesentliche Elemente dieser Neuverteilung der Anhängigkeiten waren seit Mitte 1999:
· Schaffung eines Konsenses des „starken Staates für ein starkes Russland“ durch den Beginn des 2. Krieges gegen Tschetschenien.
· Einrichtung einer Informations-Leitzentrale nach NATO/Kosovo-Vorbild zum Tschetschenien-Krieg, einschließlich einer speziellen PR-Abteilung unter Michail Jastreschembskij im Präsidialamt.
· Verabschiedung neuer Informationsleitlinien in der neuen Militär- und Sicherheitsdoktrin, sowie weiterer nachgeordneter Leitsätze wie der „patriotischen Bildungsreform“ und anderen, denen zufolge Veröffentlichungen, die dem Interesse des Landes zuwiderlaufen, mit Strafe bedroht werden.
· Einsatz von Justiz-, Steuer- und Lizenzbehörden, um wirtschaftlichen Druck auf Sender, Verlage und Redaktionen zu machen – bis hin zu den Fällen NTW und TW-6
· Exemplarische Einschüchterung am Beispiel Andrej Babizkis und anderer; maskierte Durchsuchungen von Redaktionen, berufsschädigende Anklagen gegen Redakteure.

Ganz zu schweigen ist dabei von der Tatsache, dass allein im Jahre 2001 vierunddreißig russische Journalisten in Ausübung ihres Berufes ihr Leben ließen.
Gleichzeitig sucht Wladimir Putin das direkte Gespräch: Gleich zu Beginn seiner Amtszeit, im Januar 2001, lud er zweiunddreißig hochrangige Vertreter von Presse, Fernsehen und Funk ein und erklärte ihnen, dass die Freiheit der Presse eines der wichtigsten Ziele der letzten zehn Jahre gewesen sei und auch zukünftig bleibe. Er kritisiert einzelne polizeiliche Übergriffe und verspricht, dass die Rechte der Presse nicht eingeschränkt werden sollen. Hohe Priorität räumt er der „Schaffung eines einheitlichen Informationsraumes“ ein, weil nur damit die Integrität des Landes gewährleistet werden könne.
Wladimir Putin gibt Interviews für CNN, ist im TV präsent, er stellt sich einer Internet-Konferenz, in der er Fragen aus der Bevölkerung beantwortet; sein Präsidialamt unterhält über Leute wie Gleb Pawlowski und dessen „Fond für effektive Politik“ eine Vielzahl von Internetseiten mit Informationen, Diskussionen und Hintergrundanalysen zur Regierungspolitik – Pluralismus, allerdings alles aus einem Hause.
Ergebnis all dessen ist keine Diktatur, auch nicht nach der Übernahme von NTW, der Schließung der zur Wladimir Gussinkis Media-Most gehörenden Presseorgane „Sewodnja“ und „Itogi“, Ergebnis ist eine weitgehende Selbstzensur der russischen Journalisten auf Basis eines Konsens, bei dem die „russischen Interessen“, kurz, die von Wladimir Putin betriebene autoritäre Modernisierung, im Mittelpunkt stehen.
Auch ist TW-6 beileibe nicht die letzte oppositionelle Stimme in Russland, wie es in westlichen Blättern jetzt anklingt, es ist nur der letzte privat finanzierte Sender im TV-Bereich und der letzte mit privaten Wachstumschancen. Im Hörfunk gibt es noch das „Radio Moskau“ und mit ihm eine ganze Reihe kleinerer regionaler und lokaler unabhängiger Rundfunkanstalten. Außerdem gibt es eine Reihe unabhängigrer, das heißt privat finanzierter Zeitungen, auch wenn die nur eine beschränkte Leserschaft haben.
Das wichtigste Ergebnis der Putinschen Pressepolitik der letzten zwei Jahre aber, der Konsens zur Selbstzensur,
wird mit der Schließung von TW-6 erstmals offen durchbrochen. Das wird Folgen haben. Zwar blieben öffentliche Proteste wie noch im Vorjahr im Fall NTW, als mindestens 10.000 Menschen in Moskau und viele auch in kleineren Orten auf die Straße gingen, weitgehend aus. Die haben allerdings selbst die NTW-Macher kaum interessiert. Wichtiger ist, dass aus dem Apparat selbst jetzt Kritiken laut werden, ebenso aus dem Ausland. Diese Kritiken treffen sich mit Kritiken an der Kriegsführung in Tschetschenien, die das Lagezentrum Jastreschembskis soeben öffentlich eingestehen musste. Folgerichtig versprach Informationsminister Michail Lesin, dass sich TW-6 an der Ausschreibung im März beteiligen dürfe. Das Spiel ist also noch offen, genauer gesagt, wieder eröffnet. Ob dabei Pressefreiheit im westlichen Sinne herauskommt, darf bezweifelt werden: Immerhin müssen die Antragsteller für die Erlangung einer neuen Lizenz 1,13 Millionen Euro und ein überzeugendes Sendekonzept hinlegen. Wie sie das machen wollen, ohne sich erneut in die Abhängigkeit von einem Sponsor a la Wladimir Gussinki, Boris Beresowski oder auch eines ausländischen Gönners zu begeben, ist kaum zu erkennen.

www.kai-ehlers.de

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