Putins humanitäre Hilfe

Will man den Worten trauen, die der Welt zur Zeit von Politikern mitgeteilt werden, so schickt sich Russlands Präsident Wladimir Putin soeben an, Amerika humanitäre Hilfe bei der Bewältigung ihrer aktuellen Krise leisten zu wollen. Was für ein Salto!
Eben noch waren es die US-Amerikaner, die Russland aus humanitären Gründen mit Krediten und den Segnungen des „american way of life“ versorgten; eben noch war es die NATO, die aus denselben Gründen erst Serbien bombardierte und dann den Balkan besetzte. Jetzt schickt Russland sich an, seine westlichen Lehrmeister in Sachen „humanitärer Hilfe“ weit zu überholen.
Sprechen wir nicht davon, wie schnell Wladimir Putin die Sprache jener Welt gelernt hat, die der deutsche Bundeskanzler die zivilisierte nennt. Wladimir Putin sagt „humanitär“ und meint sein eigenes Eintreten dafür, dass die GUS-Länder Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan amerikanischen Kampfflugzeugen Überflugrechte für deren geplante Einsätze in Afghanistan einräumen.
Er sagt humanitär und meint die Lieferung von Waffen und Kriegsgerät von Seiten Russlands an die afghanische Nordallianz, die damit in den Krieg gegen die Taliban ziehen.
Er sagt humanitär und meint die neuerliche Ausweitung des russischen Einflusses im zentralasiatischen Raum.
Dies alles ist auffallend genug. Zu sprechen ist aber vor allem von der Wende im Verhältnis zwischen den USA und Russland, die sich hinter diesen Worten verbirgt: Die Formulierung von der „humanitären Hilfe“, die man den Amerikanern zu leisten bereit sei, beinhaltet ja nicht nur Informationshilfe, nicht nur Öffnung des zentralasiatischen Luftraumes seitens der GUS, nicht nur verstärkte Waffenlieferung an die Nordallianz und nicht nur stärkere Präsenz Russlands im zentralasiatischen Raum – sie bedeutet auch, dass mehr als eben diese „humanitäre Hilfe“ von Russland nicht zu erwarten ist.
Man erinnere sich, dass Außenminister Iwanow noch vor wenigen Tagen erklärte, dass Russland unter keinen Umständen direkten militärischen Beistand für die USA leisten werde. Ranghohe russische Militärs stellen sich entschieden gegen militärische Verwicklungen Russlands in Afghanistan. Sie haben die Lektion der gescheiterten sowjetischen Besetzung nicht vergessen.
Wladimir Putin selbst erklärte in einem Atemzug mit dem Angebot „humanitärer Hilfe“, dass es keine direkte militärische Unterstützung eines amerikanischen Krieges geben werde. Sein Versprechen auf „humanitäre Hilfe“ an Amerika heißt, so verstanden, letztlich nicht mehr und nicht weniger, als dass Russland die USA nicht stören wird, einen Krieg zu führen, der sie nur schwächen kann. Mehr noch, sollten die USA, verleitet durch Wladimir Putins Zugeständnisse und die breite „Allianz gegen den Terror“, derer sie sich zur Zeit erfreuen, tatsächlich die Dummheit besitzen, in Afghanistan einzumarschieren, kann Russland aus dieser Situation nur gestärkt hervorgehen: Es hat die Chance, den Makel des Aggressors und der Destabilisierung in Zentralasien an die USA zu übergeben, während es selbst als stabilisierende Macht in dem Gebiet auftreten kann. Darüber hinaus kann es von den USA für seine Hilfe noch Gegenleistungen erwarten. Im Gespräch sind bereits ein möglicher Schuldenerlass, ein Verzicht der USA auf Kritik am tschetschenischen Krieg, eine Rückverlegung der Linie der NATO-Osterweiterung uam. Die Tage der Alleinherrschaft der „einzig verbliebenen Supermacht“ jedenfalls sind gezählt. Das ist die Botschaft, die Wladimir Putin soeben auch dem Deutschen Bundestag überbrachte.

Kai Ehlers

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