Feinderklärung – wofür, bitte?

Nun endlich ist es klar heraus: „Spiegel online“, allen übrigen gleichlautenden Medien voran, hat es soeben verkündet: „Die Europäische Union hat einen Feind, zum ersten Mal in ihrer Geschichte.“

Anlass dieser Feststellung ist der in Kiew von dem US-Historiker Timothy Snyder initiierte Kongress „Thinking together“, der vom 15. – 19. 05 2014 in Kiew stattfand, gerade passend zu der für eine Woche später anstehenden Präsidentenwahl in der Ukraine. Die Teilnehmer, so konnte man in der Einladung lesen, wollten „Solidarität demonstrieren, sich mit den ukrainischen Kollegen austauschen und öffentlich über die Bedeutung des ukrainischen Pluralismus für die Zukunft Europas, Russlands und der Welt diskutieren.“ Geladen waren rund fünfzig „Denker“ westlicher Strategieinstitute, Medien, Demokratieförderer, Philosophen, Menschenrechtler, sogar Wolf Biermann durfte nicht fehlen.

Bisher habe die ganze „Erfolgsgeschichte“ der EU „ja gerade darauf basiert“, so „Spiegel online“ weiter, dessen Bericht hier stellvertretend zitiert wird,  „das Freund-Feind-Denken immer wieder überwunden zu haben.“ Das ist nun, wenn man dem „Spiegel“ glauben darf, Geschichte.

Aber „dieser Feind ist nicht einfach Putin und die russische Militärmacht“, heißt im „Spiegel“ dann; es sei etwas „komplizierter“. Man fühlt sich an Frank-Walther Steinmeiers Ausbruch vor ein paar Tagen erinnert, Politik bestehe nicht nur aus Schwarz-Weiß, sondern sei differenzierter: „Dieser Feind“, so der „Spiegel“, sei nicht etwa nur „einfach Wladimir Putin und die russische Militärmacht.“ Oho!  Nach all dem Putin-Bashing der letzten Monate ist man gespannt auf die angekündigte Differenzierung:

 „Putin und seine Helfer“ heißt es dann, „haben einen durchaus komplexen Gegenentwurf zur europäischen Union aufgezogen, das Eurasische Projekt, das zugleich Wirtschaftsraum  und Wertegemeinschaft ist. Sie basiert auf sozial konservativen Vorstellungen, auf der  Idee, das gegen die umfassende westliche Dekadenz nur die Besinnung  auf die sogenannten Familienwerte helfe, dass die Herkunft in Ehren gehalten werden müsse, dass Homosexualität nicht toleriert werden könne.“

Dies aber sei  ja noch nicht das Schlimmste, denn einerseits sei „dieser Feind ja dadurch leicht zu erkennen, er steht ja für einen anderen Zivilisationsentwurf.“ Viel schlimmer sei, dass er „starke Verbündete in der Europäischen Union selbst“ habe, nämlich „die diversen rechten Parteien und auch manche Linke.“ Und weiter: „Der Feind  weiß auch, dass er die Europäische Union nicht besiegen kann, …  aber er kann sie schwächen.“ Sie zu sehr zu schwächen läge nicht in seinem Interesse, schließlich verkaufe er ihr sein Gas. „Manchmal allerdings geht es diesem Feind aber auch um die direkte Konfrontation. Die Ukraine ist eines seiner ersten Opfer. Ein Test, wie weit ergehen kann. Sie wird nicht das letzte gewesen sein.“

Dies alles ist etwas banalisierter O-Ton Timothy Snyders, der schon vor der Konferenz in Interviews erklärt hatte, u.a. in der FAZ unter der Überschrift „Rechte schließen sich zusammen, Putin führt sie an“, in Russland herrsche ein Regime, das sich „in die rechtsextreme Richtung“ bewege.  Auf der Konferenz erklärte Snyders u.a: „Russland will die Eurasische Union – und die betrachtet die EU als Feind.“ Und weiter: „Das ‚eurasische Projekt‘, basierend auf rechtsradikalen Vordenkern wie Alexander Dugin läuft darauf hinaus ein riesiges Reich von Wladiwostok bis Lissabon zu erreichen. Was die Zerstörung der EU bedeutet. Die Ukraine, die die EU-Assoziierung will, ist die Blaupause“, sagt Timothy Snyder. „Das Eurasia-Projekt möchte Europa so aussehen lassen wie die Ukraine im Moment: allein, ohne genügend  Freunde, fragmentiert, zerlegt, von außen angegriffen. Die Ukraine ist ein Testfall für die EU als Ganzes.“ Das Eurasien Projekt ziele zudem auf den Bruch zwischen den USA und Europa usw., was Obama bereits bemerkt und sich deshalb Europa wieder zugewandt habe.

Der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy nannte Putin einen Faschisten. Francois Heisenbourg, Direktor des Londoner International Institute für Strategic Studies“ warnte den „Westen“ davor Putin zu unterschätzen: „Wir“ stünden vor „einer Ära der Konfrontation mit einer entschlossenen Macht“ erklärte er, „wir werden erst noch einige Schlachten verlieren, bis wir zum Gegenangriff übergehen können.“ Dann rief er den anwesenden Vertretern der ukrainischen Übergangsregierung mit Blick auf ihr Vorgehen gegen die Aufständischen in den südlichen und östlichen Gebieten der Ukraine zu: „Lassen sie sich von niemandem in den Rückzug hineinreden.“

Das bereits erwähnte Interview in der FAZ hatte unter dem Vorspann gestanden: „Russlands politische Führung redet von einer faschistischen Gefahr in der Ukraine, arbeitet aber eng  mit den Rechtsextremen aller Länder zusammen – um Europa zu schwächen. Die  Lage ist äußerst brisant.“

Auch wenn man an Putins Außenpolitik Kritik hat, auch wenn man Kritik an der „gelenkten Demokratie“ in Russland hat, auch wenn die Auseinandersetzung mit den Einflüssen des national-Bolschewisten Alexander Dugin  wichtig ist, auch wenn man die Faschismus-Vorwürfe an die Adresse der ukrainischen Regierung für undifferenziert hält, auch wenn man sich darüber wundert, wieso rechte Parteien der EU plötzlich Sympathien für Russland entdecken, stellt sich ungeachtet all dieser möglichen Kritiken die Frage: Wohin wollen diese Leute uns, wohin wollen sie die Welt eigentlich treiben?

(Zitate aus, 19.05.2014; 14.43; FAZ, 17.05.2014; Die Welt, 17.05. und 19.05. 12014; Deutschland Funk, 19.05.2014, 00.00 Uhr

Kai Ehlers, www.kai-ehlers.de

Siehe auch die fundierte Kritik der Tagung unter: www.russland.ru

 

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